berliner szenen: Nicht mit jeder Frau kuscheln
Ich sitze auf dem Treppenabsatz vor unserem Zahnarzt und warte auf meine Tochter. Meine Laune ist nicht gut. Gar nicht gut. Die Leipziger Buchmesse ist abgesagt worden und ich bin enttäuscht. Einmal wollte ich mit meinem eigenen Buch auf die Buchmesse.
Als ich aufgucke, kommen hinter mir drei Jungs aus dem Haus. Die beiden älteren sind vielleicht 12 und 10 und den Kleinen schätze ich auf 6 Jahre.
Sie sehen aus wie Brüder; sie haben alle drei die gleichen schönen schwarzen Augen und verwuscheltes dickes Haar. Außerdem wirken sie, als würden sie sich langweilen.
Der Größte ruft: „He, was sitzen Sie ’n hier auf der Treppe?“ Ich sage: „Ich warte auf meine Tochter.“
Der Kleine setzt sich neben mich und fragt: „Muss sie zum Zahnarzt?“
Ich nicke.
Der Kleine nickt bedenklich und fragt dann: „Ist sie hübsch?“
Ich muss lachen: „Sehr, aber zu alt für dich.“
Jetzt guckt er irgendwie professionell und sagt: „Ich war auch schon beim Zahnarzt.“
„Und?“, frage ich. „War gar nicht so schlimm, oder?“ Er zieht die Schultern und die Nase hoch.
Der Mittlere sagt etwas maulend: „Woll ’n wir mal weiter?“ Er trägt einen Fußball unter dem Arm.
„Ich bleib noch ein bisschen“, sagt der Kleine.
Seine Brüder gehen schon ein Stück die Straße entlang. „Geh mal lieber mit“, sage ich.
Der Kleine zieht wieder die Nase hoch und rührt sich nicht. Der Mittlere ruft: „Komm jetzt, Rawi!! Du kannst nicht mit jeder Frau kuscheln, die du siehst!!!“
Der Kleine steht auf, lächelt mich etwas bedauernd an, hebt eine kleine Patschehand zum Abschied und trottet seinen Brüdern zum Fußballplatz hinterher.
Als meine Tochter kommt, habe ich tatsächlich wieder gute Laune. Isobel Markus
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen