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berliner szenenDrei Männer für eine Pappel

Drei Tage haben sie gebraucht. Jetzt ist die 20 Meter hohe Säulenpappel im Hof weg. Zwei Wochen lang lehnte sie diagonal gegen eines der Häuser, die Baumspitze schmiegte sich an den Schornstein, Äste hingen in einer Dachterrasse, die Regenrinne eingedellt, der Zaun zu den Nachbarn verbogen. In einer der Sturmnächte machte es in den frühen Morgenstunden „Rumms“. Im Traum klang es, als sei ein Betonblock heruntergefallen.

Nachts hatte ich der Pappel noch vom Bett aus dabei zugeschaut, wie sie sich hin- und herbog, ich wünschte ihr viel Glück. Am nächsten Morgen war mein Schlafzimmerfenster leer, zum ersten Mal nur Himmel, kein Baum. Ein surrealer Moment. Dann sah ich die Pappel in der Diagonalen. Und dass nur ein bisschen Regenrinne und Zaun zerquetscht waren. Unten im Hof rot-weißes Flatterband.

Nun, zwei Wochen später, wirkt das Surreale jenes Morgens surreal. Drei Tage lang kümmerten sich drei Männer um die Pappel. Erst kletterten sie aufs Dach und einen anderen Baum, spannten Seile, schnitten gewissenhaft die Äste ab. Am dritten Tag hing einer oben in der Spitze und säbelte mit einer Handkettensäge eine 30-Zentimter-Scheibe nach der anderen ab, mit einem lauten „Plomp“ landeten sie auf der Wiese. Dort liegt jetzt alles, die Stammreste nebeinandergestapelt, die Äste ordentlich gebündelt.

Nun, zwei Wochen später, liegen anderswo ganze Städte in Schutt und Asche. „Sturm,Ylenia' sorgt für massive Verwüstungen“, „Sturmtief,Zeynep' hat in weiten Teilen Europas schwere Schäden angerichtet“, nur zwei Wochen ist das her. Wie absurd die Dimension „massive Verwüstung“ auf einmal klingt! Und wie absurd es wirkt, mit wie viel Sorgfalt sich drei Menschen um einen einzigen schief liegenden Baum kümmern. Anne Haeming

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