berliner szenen: Autofahrt durch den Grunewald
Auf die Psychologenparty wollte Lisa nicht. Sie hatte keine Ahnung, dass nicht nur ich, sondern auch ihr Mann, wie ich wusste, für den Abend dorthin eingeladen war. Zu Psychologen hatte sie keine Verbindung, das war „einfach nicht ihr Ding“. Lisa ahnte also nichts von dem, was sich an dem Abend noch zutragen würde, aber das war auch egal jetzt, das war Musik der Zukunft, während wir, in dieser fortfahrenden, von Schubert begleiteten Gegenwart, in den Grunewald fuhren. Mit dem Auto, das gar nicht ihr Auto war. Sondern von Miles, das sie über die Woche gemietet hatte. Einer der Wagen, die überall herumstanden und von Runnern geputzt wurden. Aber Lisa, getreu dem Motto sharing is caring, hatte den Wagen mit einem Handstaubsauger schnell noch selbst saubergemacht, wie sie erzählte, kein Staubkörnchen zu sehen!, rief sie aus, während ihr die blondierten Strähnchen in das schöne Gesicht hingen, das skandinavisch aussah und nicht ihrem Namen entsprach. Lisa Belano, das war der Name, den sie bis zur Hochzeit getragen hatte, als Einzelkind mit niederländischen Vorfahren; als einzige Nachfahrin einer Familie, in die sich vor Jahrhunderten ein spanischer Besatzer eingeheiratet hatte. Und jetzt hatte sie einen Deutschen mit englischem Vornamen geheiratet, um endlich diesen ausländischen Nachnamen los zu sein, wie sie sagte. Dass sie das tote Ende einer Linie war, war ihr egal. Ihre ganze Familie war ihr egal. Sie hatte eine ordentliche Kindheit mit Pferden und Gottesdiensten, in denen sie sich ihren sexuellen Fantasien hingab, gottlos, sofern man das sein kann, wie sie mir auf der Fahrt erzählte. Glücklich würde sie ihre Kindheit im Nachhinein nicht nennen, sagte sie, weitere Gedanken verschwendete sie daran nicht. So viel zur Psychologie. René Hamann
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