berliner szenen: Normaler Nachmittag mit M.
Alles war normal. Ich ging in die Küche und machte Tee. M. klagte über zu wenig Licht. Auf dem Tisch standen Blumen, die D. mitgebracht hatte, im Fernseher lief die Radio-Bundesligasendung. Als wir gerade die Schachfiguren aufgebaut hatten, kam K. Nach unserem ersten Spiel kam der Pfleger.
M. hatte keine Lust, den Nachmittag durch Pflegehandlungen unterbrechen zu lassen. Außerdem war gestern und vorgestern niemand gekommen trotz Ankündigung. Er schimpfte mit dem Pfleger und bat ihn, wieder zu gehen. Wir schwiegen. Als der Pfleger wieder weg war, sagten wir, dass es ein schlechter Move gewesen war, den Pfleger nicht reinzulassen. Der kann ja nichts dafür, dass der Pflegedienst schlecht arbeitet. „Du musst dich beim Pflegedienst beschweren.“ „Aber er kriegt es doch sowieso bezahlt.“
Er wird nach Einheiten bezahlt, genau definierten Handlungen; Verband erneuern, Zucker messen, Insulin spritzen. So hat er nur die Einheit An- und Abfahrt erledigt und bekommt weniger, argumentierten wir. Und es nervt auch, wenn man als Pflegekraft vom Patienten an seiner Arbeit gehindert wird.
M. bereute nun, dass er den Pfleger rausgeschmissen hatte, und wollte sich morgen entschuldigen. So konnte der Nachmittag normal weitergehen. Ich erzählte von der Edeka-Werbung, die den gleichen Slogan verwendet wie die Netto-Reklame. Bei Netto sagt ein frecher kleiner Junge „dann geh doch zu Netto“; Edeka konterte mit „dann geh doch zu Edeka“. Die Tonlage des kleinen Jungen habe sich verändert, sagte M. Der Satz klinge jetzt nicht mehr so rotzig, sondern wie das übliche Werbeklischee eines netten Kindes. Dann redete er wieder davon, dass im öffentlichen Rundfunk so viele Sprecherinnen lispeln würden. Das wäre unerträglich und unprofessionell. K. und ich widersprachen heftig.
Detlef Kuhlbrodt
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