berliner szenen: Fräulein Berlin beim Schach
Auf Facebook sind wir schon seit Jahren befreundet. Er macht eigentlich einen enzyklopädischen Blog auf Facebook, postet jeden Tag meist moderne Kunst aus aller Welt mit Musikbegleitung aus allen Genres; seine Posts hatten mich ein bisschen gerettet in den Monaten, als mich meine Algorithmen langsam in den teilnehmenden Wahnsinn getrieben hatten.
Wir hatten viel bei Lichess gespielt und die monatlichen Onlineturniere mit den Spitzenspielern ähnlich engagiert verfolgt wie früher die Fußball-WMs. Online führte E. mit 257 zu 162. Dann hatten wir uns zum Live-Essen und Schachspielen in der taz-Kantine verabredet.
Ich hatte mir zum ersten Mal wieder einen Pullover angezogen, weil schon Herbst ist, und das große Schachbrett in einer hübschen Stofftasche von Kaufland verstaut. Das Schachbrett ist ein Erbstück von 1982; mit seinem vormaligen Besitzer hatte ich als Jugendlicher viel gespielt; in Kleinstadtcafés, mit Kaffee, Kuchen und drinnen Rauchen.
E. hatte zuletzt vor 20 Jahren offline gespielt. Ich kannte Offline eigentlich nur von M. Kollegin S. lachte, als sie uns sah. Ich sagte, die Nerds verlassen ihre Komfortzone. Draußen lief die Lothar-Lambert-Schauspielerin Ulrike S. an der Schachkantine vorbei. „Fräulein Berlin“ hatte ich in den 1980er Jahren auf der Berlinale mit großen Augen geguckt und später über fast alle Lambert-Filme geschrieben.
Die Schachfiguren sahen gut aus im Nachmittagslicht. Zwischen den Spielen rauchten wir draußen und sprachen über Georges Bataille, Ricardo Villalobos, Cannabis und Corona. Ich klagte über Facebook; er empfahl, alle deutschen FB-FreundInnen auszusortieren Er erzählte, dass der Richter, der mich 1982 zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt hatte, sein Onkel ist. Von seinem anderen Onkel hab ich eine LP.
Detlef Kuhlbrodt
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