berliner szenen: Ohne alles unterwegs
Gerade habe ich mit meiner Tochter einen Spielplatz verlassen, als wie aus dem Nichts eine ältere Frau vor uns steht und fragt, ob ich ihr helfen könne, zur Lindower Straße zu kommen. Ehe ich mein Handy zücken kann, meint sie: „Ich muss schnell weg. Mein Mann hat eben … So habe ich ihn in all den Jahren noch nie erlebt. Ich dachte, er bringt mich um.“ Sie zittert. „Da bin ich raus. Und jetzt bin ich ohne alles.“
Sie zeigt ihre Handtasche, in der sich nichts als ein einzelner Schuh befindet, und fragt: „Kann ich mich kurz auf Sie stützen? Ich habe das Gefühl, ich kippe um.“ Ich biete ihr meinen Arm an: „Wir gehen jetzt erst mal zur Bushaltestelle.“ Sie lehnt sich an mich und erklärt, sie wolle zu ihrer Mutter: „Und mein Mann fragt noch: Wohin willst du denn? Du hast doch nirgendwo … Wenn der mich krieg t…“ Sie weint. Meine Tochter zieht verstört an mir. Ich erkläre ihr, dass die Frau Hilfe braucht.
An der Bushaltestelle angekommen aber stellt sich das Ganze als sehr kompliziert dar: Mit einem Mal ist sich die Frau nicht mehr sicher, ob ihre Mutter überhaupt noch in der Straße lebt: „Wir haben uns Jahre nicht gesehen. Ich wohne ja hier und sie da.“
Als ich die Telefonnummer der Mutter herausfinden will, erinnert sie sich nur an deren Mädchennamen: Ich denke kurz nach und frage dann: „Haben Sie eigentlich eine Maske? Und ein Ticket?“ Sie verneint: „Ich weiß gar nicht mehr, wo vorne und hinten ist.“ Ich gebe ihr eine Maske und denke laut: „Ich kann Geld für Sie abheben. Aber ohne Adresse bringt Ihnen das nichts. Am besten wäre, Sie gingen zur Polizei. Die wissen …“ In dem Moment kommt der Bus. Beim Einsteigen überlegt die Frau es sich anders. Als die Türen schließen, stürzt sie schnell wieder raus: „Danke, ich weiß, Sie meinen es gut. Aber ich bleibe besser.“
Eva-Lena Lörzer
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen