berliner szenen: Der schönste aller Abende
Kinder tanzten, Alte tanzten, alle tanzten. Noch nie wirkte Schöneberg so idyllisch wie an diesem sogenannten Langen Freitag am Bayerischen Platz. Obwohl solche Mehrgenerationenfeste gar nicht so mein Fall sind, geselle ich mich an diesem Abend dazu, hole mir ein Glas Wein an einem Verkaufsstand, dann eine Flasche Schultheiss von meinem Lieblingskiosk, der heute länger als sonst offen hat.
Plötzlich aber wird diese fast schon seltsame Idylle von einer Frau durchbrochen. Sie ist um die achtzig und wankt und schwankt mit einem leeren Weinglas durch den Pulk, der sich um eine Band gebildet hat. Gerade spielen sie den Rauch-Haus-Song von Ton Steine Scherben. Alle glotzen nur, dann wird einfach eifrig weitergetanzt.
Ich folge mit meinem Blick der alten Frau. Sie trägt eine bunte Bluse, eine Brille und einen Strohhut auf dem Kopf. Auch wenn ihr Outfit mehr wie Strandurlaub aussieht, wirkt es so, als hätte sie sich extra schick gemacht für dieses Event. Sie scheint alleine auf diesem Fest zu sein. Niemand folgt ihr und ruft so was wie: „Ach, Hilde, warte doch, ich helfe dir!“ Stattdessen sieht es so aus, als würde sie jeden Moment hinfallen und nicht mehr aufstehen.
Zusammen mit meinem Freund und seiner Tochter, die mich an diesem Abend begleiten, fragen wir die Frau, ob wir ihr helfen können.
„Ach, seid ihr süß! Ach, seid iiiiihr süüüüß!“, lallt die alte Dame und tätschelt mir den Arm. Da sie kein Geld mehr für ein Taxi hat, bieten wir ihr an, sie mit dem Auto nach Hause zu fahren.
Als mein Freund sie in ihre Wohnung hievt, die etwa zehn Fahrminuten vom Fest entfernt liegt, sagt sie noch, dass sie ganz alleine sei, keinen Mann und keine Kinder habe, aber dieser Abend sei ihr allerschönster gewesen. Sie habe nur viel zu viel vom Rosé getrunken.
Eva Müller-Foell
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