berliner szenen: Kleine Jungs mit großen Autos
Am späten Nachmittag entspannt sich die Stimmung rund um den Winterfeldmarkt. Die Samstagseinkäufe sind erledigt, die Schnäppchenjäger zufrieden mit drei Schalen Erdbeeren für 6 Euro. Jetzt werden die Bänke in der Maaßenstraße angesteuert. Drei Mädels balancieren Lasagneportionen auf den Knien, ein Risiko für ihre weißen Jeans. Sie haben vorhin den Inhalt ihrer Geldbörsen auf dem Imbisstresen ausgekippt. Der Verkäufer sollte sagen, was sie sich dafür leisten können – und er war großzügig. Ein Flaschensammler nutzt einen abgebrochenen Ast, um die Beulen aus einer Pfanddose zu drücken. Und eine Schwester in Ordenstracht scheint die Eissorten zu genießen, die die Freundin gerade im Laden gegenüber ausgewählt hat. Ihre Fahrräder haben die beiden unabgeschlossen zur Seite gestellt. Es könnte hier so friedlich sein, wenn nicht zwei Autofahrer in dieser verkehrsberuhigten Zone streiten würden. Ein BMW mit norddeutschem Kennzeichen steht einem Ferrari-Cabrio gegenüber, es kann nur einer zur Zeit die einspurige Straße passieren. Der Ferrari-Fahrer im weißen Muscle-Shirt zeigt viel Haut und Schmuck, vor allem aber finstere Miene. Keinen Millimeter bewegt er sich, dreht nur die Musik lauter – wie auch der hochgeschlossene BMW-Fahrer ihm gegenüber. Die entspannte Atmosphäre ist hin, alle gucken genervt und bedeuten den beiden, zur Vernunft zu kommen. Plötzlich setzt der Norddeutsche zurück. Nicht aus Vernunft – er hat im Rückspiegel einen freiwerdenden Parkplatz entdeckt. Der Ferrari-Mann bleibt trotzdem noch stehen und guckt in die Runde, jetzt mit Siegermiene. Bis er die Ordensschwester sieht. Er bekreuzigt sich, legt die Hände aneinander und senkt entschuldigend den Kopf. Ein kleiner Junge mit schlechtem Gewissen, über den die Schwester nur lächeln kann.
Claudia Ingenhoven
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