berliner szenen: Mein imaginärer Comic
Wenn ich zeichnen könnte, wäre daraus ein Comic geworden. Ich bin auf dem geblümten Liegestuhl auf meinem Balkon und während wir telefonieren, liege ich mal mit dem Kopf unten und den Füßen auf der Stuhllehne, dann drehe ich mich wieder um, setze mich „normal“ und mit geradem Rücken hin, dann rutsche ich langsam nach unten, Richtung frischer Betonboden. Es ist einer der ersten heißen Mittage dieses Jahr.
Das ist das erste Mal, dass ich ihre Stimme am Telefon höre, sie gefällt mir. Fast zwei Stunden mit jemandem zu telefonieren fühlt sich außergewöhnlich an.
Wenn das ein Comic wäre, wäre es schwarz-weiß gezeichnet bis auf einige Details: meine rot lackierten Zehennägel, rote Backen, die grüne Blätter der Bäume im Hintergrund und das Spiralkabel eines Festnetztelefons, auch grün. Das Kabel würde bis außen reichen und eine wichtige Rolle in der Geschichte haben: Während der ganzen Konversation würde ich mit ihm herumspielen. Ich würde es zwischen Finger und Zehen rollen und ausrollen, beißen, ziehen und alles sonst, was mal früher bei Telefonaten damit machte. Jede Aktion wäre ein Einzelbild, ohne Sprech- oder Denkblasen. Man könnte denken, die Szene spiele sich in einer anderen Zeit ab. In Wirklichkeit halte ich das Handy zwischen Schulter und Ohr (zum Beispiel, wenn ich zum zweiten und dritten Mal Kaffee koche) und lege aus Versehen auf. Bei ihr ist die Verbindung unstabil. Dann rufen wir uns noch mal an und merken nicht, wie die Stunden vergehen. Draußen ist die Euphorie nach den ersten Lockerungen groß, alle sind überdreht. Auf meinem Balkon mit Blick zum Hinterhof des Nachbarhauses ist es still und in meinem imaginären Comic kommt jedenfalls keine Pandemie vor. „Bist du noch da?“, frage ich. „Ja, ich bin hier“, antwortet sie.
Luciana Ferrando
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