berliner szenen: Lieber lauwarm als eisgekühlt
Es sind schon 28 Grad heute, meinen Cappuccino bestelle ich trotzdem extra heiß. „Bei dem Wetter,“ fragt mich der Mann hinter der Theke, „wollen Sie nicht lieber einen Eiskaffee?“ Ich muss mich oft für meinen extra-heiß-Wunsch rechtfertigen, heute schweige ich nur. Am Tisch bilanziere ich die Antworten, die ich in letzter Zeit gehört habe. „Geht nicht. Die Maschine ist voreingestellt.“
Oder: „Es zerstört den Geschmack, wenn das Milcheiweiß so erhitzt wird.“ Die Temperatur, die Moleküle, bla. Der geschulte Barista muss meine Bitte ablehnen, eine Frage der Berufsehre. Zufriedenheit der Kundin gehört offenbar nicht dazu.
Eine Ausnahme ist die Kellnerin, die wusste, wie es geht: „Ich spüle Ihnen vorher die Tasse heiß aus, ich mag Kaffee auch am liebsten knallheiß.“ In ihrem Café wurde ich zur Stammkundin, meinen Wunsch muss ich nicht mehr aussprechen, einverständiges Nicken reicht. Meine These: Je jünger, männlicher, frischer geschult das Team, womöglich in einer neueröffneten Filiale, desto unwahrscheinlicher, dass meine Bitte auf Anhieb akzeptiert wird.
Während ich in der Wärme über den Zusammenhang von Alter, Geschlecht und Service sinniere, findet am Nachbartisch ein therapeutisches Gespräch statt, wie aus Wortfetzen deutlich wird. Plötzlich bekommt die Klientin eine Panikattacke. Sie zieht aus der Tasche ein Kühlpack und presst es sich aufs Gesicht, minutenlang. Die Therapeutin wartet ruhig ab, bis die Frau das inzwischen schlappe Kühlpäckchen zur Seite legt und sich ein anderes in den Nacken drückt.
Nach 10 Minuten geht es ihr besser, die beiden setzen ihr Gespräch fort. Peinlich, das banale Zeug, das mich noch kurz vorher beschäftigt hat. Ich kann froh sein, stressfrei einen lauwarmen Cappuccino trinken zu können. Jedenfalls bis zum nächsten Mal. Claudia Ingenhoven
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen