berliner szenen: Aber ein Jäger ist es nicht
Als ich morgens um sieben meine Schwimmsachen packe, finde ich meine Badelatschen nicht. Ich schiebe es auf die Müdigkeit. Vor zwei Tagen hatte ich die doch noch mit im Freibad. Na ja, dann muss es heute halt mal ohne gehen.
Auf dem Weg zum Bad denke ich nach: Eigentlich packe ich die immer als Erstes in die Fahrradtasche. Vielleicht hab ich sie echt auf der Freibadwiese liegen lassen.
Nach dem Schwimmen wickele ich mich in mein großes Badelaken, denn es ist noch kühl. Am Bademeisterturm sitzen die Angestellten auf Campingstühlen. Eine ist völlig vertieft in ihr Smartphone. Die andere dick eingepackt in Anorak und Schal. Die spreche ich an. Mühsam erhebt sie sich von ihrem Stuhl. Ich muss die Schuhe genau beschreiben: „Welche Farbe? So Flip-Flops oder normale? Hier sind se nicht, dann könnten se noch in der Buchte dahinten sein, kommen Se mal mit“, sagt sie. Und schlurft voran. Die „Buchte“ ist ein vergitterter Abstellraum unter der Rutsche. Aus der Fundsachenkiste fischt sie zwei unterschiedliche schwarze Flip-Flops heraus. Einer ist meiner. „Nee, der ist Ihnen viel zu klein“, sagt die Frau im Brustton der Überzeugung. Jetzt muss ich ihr das Gegenteil beweisen.
Wie ich da so stehe, eingehüllt in mein Handtuch, und vor ihren Augen die Plastiklatsche anprobiere, hätte ich plötzlich große Lust, ihr das der Situation entsprechende Rätsel aufzugeben: „Ein Hütchen mit Federn, die Armbrust über der Schulter – aber ein Jäger ist es nicht. Ein silbergewirktes Kleid mit Schleppe zum Ball – aber eine Prinzessin ist es nicht, mein holder Herr.“ Lieber nicht. Sie wäre vermutlich komplett überfordert.
Ich krame in der Kiste nach dem zweiten Schuh, bedanke mich artig und denke im Stillen: „Schade, so lange Sie die Antwort auf mein Rätsel nicht wissen, leben Sie wohl!“
Gaby Coldewey
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