berliner szenen: Koks im Auto vorm Balkon
Als ich an einem Freitagabend gegen viertel nach elf nach Hause komme, sitzt mein Mann auf unserem Hochparterre-Balkon. Es ist sommerlich heiß. Auf der Kreuzung unweit unserer Wohnung stehen sicher einige Hundert Jugendliche und machen Party. Polizei ist auch da. Die Lage ist unklar.
Auch früher waren ab und zu mal feiernde Jugendliche im Park nebenan. Aber nicht so, dass Hunderte vom späten Abend bis zum frühen Morgen schreiend und mit dröhnenden Musikboxen an unserer Wohnung vorbeizogen, in unseren Vorgarten pissten und Schlafen komplett unmöglich machten.
„Ich dachte, ich zähl die heute mal“, sagt mein Mann. „Aber bei hundert hatte ich keine Lust mehr.“ Der Nabu lässt Vögel zählen, wir zählen besoffene Teenager.
Da hält ein kleines schwarzes Mietauto vor unserem Balkon, mit dröhnend lauter Musik. Drei Mittzwanziger steigen aus. Gut frisierte Blondschöpfe in weißen Markenklamotten. Ich hol mir eine Schüssel Erdbeeren, das hier könnte länger dauern. Die Jungs steigen aus, dann kommen noch zwei. Sie quetschen sich zu fünft in den Wagen. Und es passiert: nichts.
Mein Mann beugt sich über die Balkonbrüstung. „Die koksen“, stellt er sachlich fest. Wir schauen ihnen zu. Als sie irgendwann aussteigen, bemerkt uns einer. „Äh, Entschuldigung“, sagt er überraschend höflich. „Wir wollen nicht stören. Wir haben Respekt vor älteren Menschen. Sie haben Ihr Leben gelebt. Jetzt wollen Sie Ihre Ruhe.“ Ich fühle mich wie 100 und sage „Ja, das war schon ganz schön hart, der Krieg und so.“ Die Jungs nicken verständnisvoll. Mein Mann zieht laut die Nase hoch und wischt mit der Hand nach. Das ist den Fünfen sichtlich peinlich. Sie entschuldigen sich noch diverse Male und verschwinden in der Nacht. Wir gehen schlafen. Was man eben so tut am Lebensabend. Gaby Coldewey
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