berliner szenen: Trostlos in der stillen Nacht
Es ist die Nacht zum Sonntag, ich tauche gegen ein Uhr morgens am Schlesischen Tor auf. Was für ein Bild: Alle Läden sind zu, praktisch kein Mensch da.
Normalerweise wäre um diese Uhrzeit Hochbetrieb, doch in Pandemiezeiten ist bekanntlich nichts normal. Es ist die erste Nacht der Ausgangssperre – früher hätte man gesagt: Polizeistunde. Und tatsächlich parkt auch ein Polizeiwagen um die Ecke.
Zu meinem Erstaunen hat ein Laden noch auf. Rechts und links von ihm wären in den Geschäften Kontrolleure gewesen, sagt der Angestellte freimütig, aber bei ihm nicht. Also bestelle ich eine Pizza. Während ich warte, stelle ich fest, dass wohl noch nie so wenig Verkehr am Schlesi geflossen ist wie in dieser Nacht. Zu normalen Zeiten muss man hier nur kurz warten und schon passiert irgendwas: ein Unfall oder jemand schreit rum oder spendiert ein Bier.
Ich bekomme meine Pizza, zahle und gehe zum Essen wenige Schritte weiter zu einem Späti, wo sonst immer HipHop rausdröhnt, um damit nervige Betrunkene anzulocken.
Jetzt stehen die Bänke auf den Tischen, der Laden ist zu. Trotzdem erscheint ein junger Mann in der Tür: Ich dürfe hier leider nichts essen, erklärt er. Wen sollte ich denn anstecken, frage ich. Tut mir leid, sagt er, so sind die Regeln.
Ich ziehe mit meinem Pizzakarton weiter, an dem Streifenwagen vorbei. Vorne am Fahrzeug lehnt ein fülliger Polizist. „Nicht mal’ne Pizza kann man mehr essen“, maule ich im Vorbeigehen. „Eigentlich dürften Sie um diese Uhrzeit gar nicht mehr auf der Straße sein“, kontert dieser trocken.
Während ich mich an die nächste Straßenecke kauere, um meine Pizza zu essen, glotze ich auf die menschenleeren Straßen. Berlin war selten so trostlos wie jetzt. Darius Ossami
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