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berliner szenenUnterihrenScheren

Bevor sie mit beherzten Schnitten wieder einen ordentlichen Menschen aus mir machte, musste ich am Halleschen Tor noch ein Abenteuer bestehen. Mit dem Rad stand ich an der Ampel, bemerkte plötzlich eine Bewegung im Augenwinkel: Ein junger Mann machte sich an meiner Fahrradtasche zu schaffen. Darin die Grundlagen meines mobilen Arbeitens, Laptop und Smartphone. All mein Kapital! Ein „Weg da!“ entfuhr mir zu meiner eigenen Überraschung. Es war so laut, dass der verhinderte Dieb im Krebsgang floh, mit dem Zeigefinger auf den Lippen, als bedeutete er mir, er habe mir doch nur ein Geschenk zustecken wollen.

Nun lag ich also unter ihren Scheren. Seit ich in Mitte arbeite, bin ich Kunde in ihrem Salon. Der Laden war hygienebedingt umgerüstet. Mehrmals stieß ich – die Brille lag schon vorm Spiegel – gegen Spritzschutzwände.

Ich weiß ja gar nicht mehr, eröffnete sie das Gespräch, was ich dieses Jahr wählen soll (und scheitelte mein nasses Haar), aber ich weiß, was ich nicht mehr wählen werde: die CDU (und der erste Büschel meiner Mähne fiel zu Boden), die SPD sowieso nicht (das nächste folgte), die Grünen gehen auch nicht (da stutzte sie mir schon die Koteletten) und die FDP mit dem Lindner erst recht nicht (ich spürte die Scherenspitze am rechten Ohrläppchen) … Bleibt eigentlich nur … Hörnse uff, bremste ich sie, so genau will ich das gar nicht wissen. Sie lachte. Wir kamen auf die Coronapolitik der Regierung. Dann auf Spahn und seine Villa, auf Merkel. Die Merkel, sagte sie auf einmal nachdenklich. Eine Freundin, die im Urlaub auf den Kanaren war, hat erzählt, die Kanzlerin habe sich gerade ein Haus auf Gomera gekauft. Ist das nicht ganz schön weit weg von Deutschland, frage ich. Das ist so ’ne Art Altersruhesitz, sagte sie. Da will die mit dem Janzen hier nischd mehr zu tun ham.

Timo Berger

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