piwik no script img

berliner szenenBestimmt hat er viel zu erzählen

Ich stehe in der Schlange zum Bäcker, die auf der Straße bis zur nächsten Ecke reicht. Im Laden sind nur zwei Personen erlaubt, und da sich vor mir mehrere Pärchen befinden, kann es noch eine Weile dauern, bis ich dran bin. Nach einem ersten hoffnungsvollen Frühlingsanfang sind die Tage nun wieder kalt, und ich bin froh über meine dicke Maske. Sie wärmt mich zusätzlich ein bisschen.

Vor mir streitet sich ein Pärchen. Mir ist nicht ganz klar, worum es geht, aber es ärgert sie offenbar, dass er nie redet. Alles würde er allein mit sich abmachen. Ein Anruf unterbricht sie und mit dem Blick auf das Display sagt sie: „Deine Mutter ruft an.“

Er schüttelt den Kopf und sagt: „Auf keinen Fall jetzt.“

Sie nimmt ab. „Mutti“, ruft sie dann ins Telefon und stellt auf Lautsprecher. Sie hält das Handy waagerecht vor sich, damit auch ihr Mann alles hören kann. Ihr Mann und ich auch.

Mutti beginnt direkt zu erzählen von einem Paket, auf das sie schon drei Tage wartet, nämlich mit der Bettwäsche, die sie den Kindern schon zu Ostern bestellt hat.

„Ich habe ein frühlingshaftes Muster ausgesucht“, sagt Mutti freudig.

Die Schwiegertochter ruft: „Ach, wie lieb von dir.“

Dabei sieht sie zu ihrem Mann hinüber, der sich in einer verzweifelten Geste eine Hand an die Stirn hält. Ich überlege, ob mein Sohn das später auch so machen wird, wenn ich anrufe.

„Ist denn der H. auch da?“, fragt Mutti jetzt laut. Der Sohn winkt aufgeregt mit beiden Händen ab und hält einen Finger vor den Mund hinter der Maske. Die Augen seiner Frau ziehen sich zu Schlitzen und sie ruft: „Klar, der steht direkt neben mir in der Schlange. Warte, er hat bestimmt viel zu erzählen.“

Während er den Lautsprecher leise stellt und mit seiner Mutter telefoniert, zwinkert sie mich an.

Isobel Markus

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen