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berliner szenenNur eine hat noch nicht umgestellt

Rund um den Winterfeldtplatz ist heute fast mehr los als an Markttagen. Alle wollen die Frühlingsluft atmen und so viel Haut wie möglich in die Sonne halten. Vitamin-D tanken heißt die neue Begründung. Obwohl so viele Menschen unterwegs sind, gibt es kein Gedrängel, kein Geschiebe. Was vor ein paar Tagen noch unmöglich schien: mal kurz hintereinander oder zur Seite zu gehen, um Entgegenkommenden auszuweichen, das scheint heute selbstverständlich.

Freundlichkeit kann eine vergnügliche Übung sein. „Möchten Sie vielleicht mal meine neue Knoblauchsoße ausprobieren, kann ich Ihnen empfehlen“, fragt der Pizzaverkäufer die Kundin. Beim Stand mit dem frischen O-Saft ist ihr das Kleingeld ausgegangen, sie hat es erst nach der Bestellung gemerkt. Kein Problem, der Verkäufer wechselt gut gelaunt den 50-Euro-Schein. Die Schlange am Eisladen ist lang wie im Sommer. „Möchten Sie vor?“, fragt ein Mann die Mutter von drei ungeduldigen Kindern. Fehlt nur noch, dass der Fahrer des schwarzen Audi aussteigt, um dem alten Mann über die Straße zu helfen, der offenbar Gleichgewichtsprobleme hat. Nicht nötig. Das haben schon die beiden Jungs übernommen, die bis eben aufgekratzt geturtelt haben.

Kaum zu glauben, wie schnell Licht und Wärme aktivieren, was in der trübsinnigen Dunkelperiode eingemottet war. Und wie ansteckend es wirkt, wenn Aufmerksamkeit und Zugewandtheit das Klima bestimmen. Nur eine alte Frau mit Rollator hat sich noch nicht umgestellt. „Kann ich endlich mal hier durch“, schnarrt sie Richtung Erdboden, als die Umstehenden längst für eine breite Schneise gesorgt haben. Das reicht ihr nicht, sie ist eine richtige Meckerziege. „Können Sie nicht einfach nach Hause gehen?“ Ein vielstimmiges Gelächter lässt sie erstaunt hochgucken. „Nein, noch lange nicht.“

Claudia Ingenhoven

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