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berliner szenenDie noktambule Kiezrunde

Wie hypnotisiert starrte ich auf eine flackernde Hausnummernleuchte. Unbestreitbar stand sie kurz davor durchzubrennen. Eine sirrende 74 – mein Geburtsjahr – wie eine Laterne, an die mit stupider Insistenz Nachtfalter schlagen! Es war kurz nach 22 Uhr. In meinem Coffee-to-go-Becher schwappte camoufliert schales Bier, das mir auf einmal sehr bitter am Gaumen abging.

Ein paar Schritte weiter gen Südkreuz parkte ein weißer Kombi mit gedämmten Scheiben in zweiter Reihe. Ein Paketwagen war das nicht. Der Motor lief niedertourig, doch ich sah keinen Fahrer. Warteten im Inneren vakante Särge? Einem Fluchtreflex folgend bog ich in eine Seitenstraße. Aus einem Hauseingang schossen zwei Doggen, die eine Frau mit einer spitzen Kapuze hinter sich her zerrten. Ich kam mir ein wenig banal vor auf meiner noktambulen Kiezrunde, die ich nur aus Trotz gegen die Verschärfung des Lockdowns, eigentlich gegen das Grassieren des Virus, angetreten hatte. Ein Protest ohne Anmeldung, ohne Mitstreiter und ohne triftigen Grund.

Gedankenverloren stieß ich fast gegen einen frisch getünchter Baumstamm. Die Krone noch blattlos, jahreszeitgemäß oder war es ein frisch gepflanzter Baum? Ich blickte um mich. All die Baumscheiben, auf denen seit Jahren nur die trostlosen Rümpfe gefällter Laubgewächse ragten, waren umgepflügt. Festgebunden an Holzgestellen wagten sich junge Platanen in den Himmel, der ganz sicher bald durch ein Hochhaus im Gasometerskelett verschattet würde.

Mutig, dachte ich, hier Neues zu säen. Vor ein paar Tagen noch sorgte ein Autotransporter mit Anhänger für Aufruhr. Sein GPS hatte ihn in eine Sackgasse bugsiert, aus der er nur nach einem geduldigen, halbstündigen Mannöver wieder herausfand. Timo Berger

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