berliner szenen: Gucken, anhalten, gut sein
Aus Gründen, die hier zu weit führen, weil sie noch langweiliger sind als der nun folgende Text, bin ich in Berlin ausnahmsweise mit dem Automobil unterwegs. In der Stadt Wege mit dem Kraftwagen zurückzulegen halte ich im Normalfall für eine anachronistische Schnapsidee.
So ist es für mich eine ungewohnte Perspektive: ich im Auto, die anderen auf dem Fahrrad. An einer Kreuzung stoppe ich beim Rechtsabbiegen und lasse einen älteren Radfahrer selbstverständlich passieren. Er lächelt freundlich und hebt dankend die Hand.
Das kenne ich, leider, und mache es als Radler mittlerweile längst genauso, wenn mir ein Autofahrer einmal nicht die Vorfahrt nimmt. Das passiert schließlich selten genug. Ich spüre dem schönen Gefühl nach, etwas richtig gemacht zu haben. Der Magen wird warm, als hätte man etwas Gutes gegessen; der Kopf wird klug, als hätte man etwas Gutes gedacht; das Herz wird leicht, als hätte man etwas Gutes getan. So fühlt sich das also an. Das macht fast Lust darauf, in Zukunft öfter mal was richtig zu machen.
Es war ganz einfach. Ich musste ja nur gucken. Und anhalten. Gucken und anhalten. Zwei Dinge. Unter Druck wäre es allerdings schwieriger geworden. Denn oft kann man beobachten, wie diejenigen Autofahrer, die beim Rechtsabbiegen den Radfahrern ihre Vorfahrt gewähren, vom Fahrer hinter ihnen böse angehupt werden: Sie sollen die Radler gefälligst totmachen; es soll schneller gehen; der Verkehr muss fließen. Da muss man erst mal die Nerven behalten. Der achtsame Kfz-Führer gerät unter Stress ins Wanken. Womöglich hat der hinter ihm ja recht. Die Verkehrsregeln stammen doch bestimmt noch aus Bismarcks Zeiten – höchste Eisenbahn, dass man die endlich anpasst. Fände ich persönlich aber schade. Ich bin doch so gerne gut.
Uli Hannemann
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