berliner szenen: Kurz vor dem Lockdown
Vor ein paar Wochen, nicht allzu lange vor dem zweiten Lockdown, nahm ich nach einem Besuch bei meiner Mutter vor einem Dönerimbiss Platz und beobachtete ein paar Stunden lang das Treiben auf der Kurfürstenstraße.
Im Gegensatz zu meiner Spandauer Umgebung scheint Corona hier ein Alb aus längst vergangenen Zeiten: Familien mit Kindern flanieren die Straße entlang, Kollegen und Freundeskreise kommen vor dem Restaurant auf der gegenüberliegenden Seite der Straße zusammen. Eine Frau bringt dem Dönerladenbesitzer stolz einen Artikel: „Guck Ali, ab heute bin ich berühmt. Meine Ausstellung hat es in die Zeitung geschafft!“ Bis auf gleich fünf Menschen, die binnen zwei Stunden zu mir an den Tisch kommen und um Zigaretten, etwas Geld oder Essen bitten, scheint die Welt hier in Ordnung.
Als der Chef kurz vor 23 Uhr alle Anwesenden auffordert, auszutrinken, fühle ich mich wie auf einer Zeitreise ins Großbritannien zu Zeiten der Sperrstunde für Pubs und Bars: Die fröhliche Gruppe an meinem Nachbartisch bestellt sich schnell noch eine letzte Runde Schnaps, kippt in Windeseile jeweils zwei Gläser und wankt ihres Weges. Am U-Bahnhof Kurfürstenstraße aber werde ich jäh aus meinen lustigen Erinnerungen an meine Zeit in Glasgow gerissen und in die pandemische Gegenwart geholt: Auf dem Bahnsteig befinden sich beinahe nur Betrunkene. Ohne Masken. Ohne Abstand.
Eine Frau geht ganz nah an alle Männer ran und haucht: „Willst du mich vielleicht? Ich brauche einen Schuss und zwar schnell. Für 80 Euro Cash mach ich was du willst.“ Als keiner reagiert, baute sie sich vor mir auf und fragt: „Brauchst du was? Ich mache heute auch Frauen.“ Ich schüttele nur verstört den Kopf und murmele mehr zu mir selbst: „Nein danke, ich bin gerade mehr als bedient.“ Eva-Lena Lörzer
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