berliner szenen: Die Tita Merello des Helms
Mädchen, macht dir einen Paps-Test“, sagte eine berühmte Tango-Sängerin in meinem Heimatland Argentinien, immer wenn sie in der Öffentlichkeit auftrat. Ich war noch ein Kind und verstand sie erst später. Sie war schon über 90 und wurde oft wegen ihres Satzes ausgelacht. Ihr schien das nichts auszumachen, sie war von der Sinnhaftigkeit ihrer Mission absolut sicher.
Neulich, als ich zu missionieren anfing, kam sie mir mit ihren riesigen Brillen und ihrer tiefen Stimme wieder in Erinnerung. „Ich werde die Tita Merello – so war der Name der großartigen Sängerin – des Helms werden“, dachte ich. Denn nach dem Fahrradunfall nutze ich jede Gelegenheit, um mein Gegenüber zu fragen, ob sie einen Helm trägt. Wenn die Antwort ja lautet, geht mein rechter Daumen durch den Gips hoch. Wenn sie aber nein sagt, frage ich zuerst, warum nicht, bekomme aber meist kein Argument, das mich überzeugen oder vom Erzählen und Belehren abhalten kann. Auch wenn ich selbst vor einem Jahr nicht einmal darüber nachdachte, einen Helm zu tragen und Missionar*innen jeglicher Art sowieso verabscheue.
Diese zwei Elemente sind Teil meiner Rede, und der Helm ist natürlich der Held der Geschichte. „Das würde ich dir jetzt nicht erzählen können, hätte ich keinen Helm getragen“, sagte ich neulich einem Bekannten. Er nickte. Er ist ein Freund eines Freundes, erst vor zehn Tagen zog er von Buenos Aires nach Berlin. Ein Rad hat er geliehen bekommen, einen Helm besitzt er noch nicht. „Ich will dich aber nicht erschrecken“, sage ich, als ich seine großen Augen sehe, und lache durch die Zahnlücke. Er lacht auch, erleichtert. Um die Spannung noch etwas zu lockern, erwähne ich Tita Merello. Doch er hat keine Ahnung, wer sie war, und fragt mich, was ein Paps-Test ist.
Luciana Ferrando
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