piwik no script img

berliner szenenWas würde Luhmann trinken?

Im Nachbarblock hat ein Café aufgemacht. Nicht irgendein Nachbarblock, sondern der modernistische Gewerbehof, in dem die taz ihr erstes Domizil hatte. Und nicht irgendein Café, sondern der nun zehnte Berliner Laden einer Kette mit „minimalistic approach“. Und nicht irgendeine Eröffnung, sondern ein „Soft Opening“. Alles geht aufs Haus.

Die Nachbarschaft, die man am ehesten mit dem Begriff „Altbezirk“ in Verbindung bringt, lässt sich nicht lumpen, es sich auf den dreibeinigen Hockern und den Tischchen auf Pudelhöhe auf dem Trottoir so bequem wie möglich zu machen. Es sei nämlich nicht irgendeine Nachbarschaft, sondern eine, die sich „bis zur Unkenntlichkeit gewandelt“ habe – so das Architekturbüro, das direkt neben dem Café auf 22.000 qm Brutto-Grundfläche Büroflächen hochzieht.

Und so wirbt das Café damit, dass die beautiful red-brick Industriearchitektur von gegenüber character oozt und dass die area now home to „LaLa Berlin and many Start-Ups“ sei. Oder in Worten des Monitoring Soziale Stadtentwicklung: Status niedrig, Anteil Transferbezieher unter 15 Jahre: 43,60 Prozent. Die Frau auf der gegenüberliegenden Straßenseite, die abrupt stehen bleibt und ihre Sonnenbrille hoch- und runterklappt wie Roddy Piper in John Carpenters „They Live“, hat mit dieser ungläubigen Geste also ganz recht; der mittelalte Designer, der zufällig mit seinem Sportrad vorbeikommt, sich zu zwei jungen Musikproduzenten dazusetzt und darüber philosophiert, wie schön es ist, wenn man Dinge findet, die man gar nicht gesucht hat, wirkt hingegen absehbar in die Falle getappt.

Auch ich will bei dem Spiel mitmachen, lasse mir von den Kindern den Laptop runterbringen (Muffins für alle!), denke an diese Luhmann-Filmchen auf Twitter und tippe diesen Text, um mein Kiezklischeesoll überzuerfüllen. Martin Conrads

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen