berliner szenen: Strandbilder aus der Neo-normalität
Für Kampfsport darf schon wieder in den Ring gestiegen werden. Ich selbst bin noch zu sehr im Coronamodus, als dass ich die fortschreitenden Lockerungen (bei steigenden Fallzahlen) feiern würde.
Achtung, ab jetzt wird es autobiografisch: Das Brennglas der Pandemie hat bei mir die Erkenntnis eines Schemas zutage gefördert: Es fällt mir schwer, etwas zu entscheiden oder langfristig zu planen. Während der Kontaktsperre nahm ich von der Idee eines Sommerurlaubs Abschied. Jetzt fluten Bekannte die Netze mit Strandbildern aus der Neonormalität. Meist zeigen sie keine Menschen, nur den einen Fuß oder Hände zum Zeugnis der eigenen Präsenz bei gleichzeitiger Einhaltung des vorgeschriebenen Abstands.
Ein Freund gibt per Telefon aus Rügen die aktuelle Lage durch: Der Strand verwaist, das Wasser kalt, die Kinder streiten sich.
Will er mich in Sicherheit wiegen? Ist das die Neonormalität? Dass man so tut, als ob man die Regeln einhält?
Da ich keine Pläne gefasst habe und mir mangels Balkon auch das gleichnamige Ausweichland verwehrt bleibt, mache ich Präsenzurlaub, wie ich das nenne. Mit ein wenig Abstand zu meinem täglichen Routen. Bin also wortwörtlich etwas neben der Spur und gondele ziellos durch die Stadt auf einem geliehenen Hollandrad.
Wenn ich schlechte Laune bekommen will, kreuze ich den Gleisdreieckpark, der immer mehr von Neubauten verschattet wird. Ehemalige Trampelpfade sind mittlerweile in Beton gegossen. Und auf Mittelstreifen ragen hipsterkonforme Temporärbauten empor. Ohne Sichtblende stählen oberkörperfreie Bärtige ihre fettlosen Körper in einem Fitness-Parcours unter offenem Himmel. Glotz nicht zu lange hin, sagt mir mein Über-Ich, das mich auf einem Fatbike fast überfährt. Du bist doch nur neidisch.
Timo Berger
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