berliner szenen: Mensch macht’s mit Schwan
Im Alten Museum ist es herrlich leer. Niemand stört einen, wenn man in einem Seitenkämmerchen in der zweiten Etage Pornografie auf Vasen und Wandfriesen studiert. Dafür sorgt eine beherzte Wärterin, die streng darauf achtet, dass nie mehr als zwei Besucher den nur wenige Quadratmeter großen Raum betreten. So kann man in aller unbeobachteten Ruhe die Beschriftungen neben Vasen studieren, die Sexorgien aus dem antiken Griechenland zeigen.
In diesem Raum treiben es auf Terrakotta gemalt und in Sandsteinfriesen gemeißelt Frauen und Männer, Männer und Männer, Frauen und Frauen, Leda mit dem Schwan, Europa mit dem Stier, Menschen jeden Geschlechts mit Satyren, Nymphen, Mänaden und Schlangen. Man muss nicht an abwegigen Orten des Internets nach solchen Szenen suchen; hier ist es Teil einer umfassenden humanistischen Bildung. Was wohl passiert, wenn sich der Schulausflug in dieses Nebenzimmer verirrt?
Nicht nur aus Post-„MeToo“-Perspektive problematisch erscheinen die Vergewaltigungsszenen auf den Fragmenten eines Wasserbeckens aus dem 1. Jahrhundert vor Christus und die Hetären, die auf einer „kleinen Kanne mit bildlichem Dekor“ Jünglinge im „Symposium“ sexuell bedienen. Dafür entschädigt der fast lebensgroße, marmorne „Berliner Hermaphrodit“ in der Mitte des Raums, den man möglicherweise mal zur „Berliner Transperson“ umbenennen müsste: aus einer Liaison von Hermes und Aphrodite hervorgegangen hat er/sie/es einen Penis und Brüste und trägt auf dem Kopf eine Mitra. Im Vergleich zu den ausgetüftelten hellenischen Sexdarstellungen war das alte Rom offenbar eine dumpfe Phallokratie: eine Vitrine voll steifer Schwänze im Miniaturformat zeigt, dass das Dickpic keine Erfindung des Internetzeitalters ist.
Tilman Baumgärtel
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen