berliner szenen: Habe Angst vor dem Verkehr
Alle fahren Rad, ich nicht. Habe Angst vor den Autos, Motorrädern, anderen Rad-Fahrenden. Bin mehr der Fußgänger-Typ und ÖPNV-Hopser. Jahrelang stand mein Rad im Keller, dann kam die Pandemie und all das und ich holte es wieder hoch.
Am Anfang war es leicht, weil nicht so viel Verkehr war. Aber jetzt ... Kaum höre ich, dass ein Auto näherkommt, fang ich vor Schreck an, mit dem Lenker zu wackeln. Geschweige denn, wenn das Auto mich überholt. Dann fahr ich fast Schlangenlinien wegen meines Gezitters. Mich wundert, dass mich die Polizei noch nicht angehalten hat, mit Verdacht auf Trunkenheit. Auch wenn sich ein anderer Fahrradfahrer von hinten nähert, werd’ ich nervös. Ich spüre, dass ich den Flitzern zu schneckig bin und versuche, so weit rechts wie möglich zu radeln, damit sie mich überholen können. Ist aber gar nicht so einfach, weil ich ja, wie gesagt, immer gleich rumzitter mit meiner Verkehrs-Phobie.
In solchen Momenten greif ich oft zu einer Spezialmethode: Ich weich auf den Bürgersteig aus. Das ganze verbinde ich mit einem Psycho-Hygiene-Twist: Ich würdige die bedrängende Person keines Blickes. Sie soll nur meinen Rücken sehen und denken: „Ich hab den armen schwachen Mitbürger verjagt, ich Verkehrs-Raubtier.“ Der Gedanke, dass die andere Person das jetzt denkt, tröstet mich ein bisschen.
Aber neulich hatte ich’s mal eilig und vor mir fuhr ein Radler, der noch langsamer war als ich. Als er bei Grün nicht sofort von der Ampel losfuhr, hab ich vielleicht sogar geklingelt. Ohne echte Not, ausgerechnet ich. Und was machte der Radfahrer da? Er wich einfach auf den Bürgersteig aus. Ich war perplex und spürte das schlechte Gewissen in mir hochkriechen. Da wollte ich ihm hinterherrufen: Hey, ich gehör zu deiner Fraktion. Aber ich sah nur seinen Rücken.
Giuseppe Pitronaci
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