berliner szenen: Der Waldist voller Menschen
Unsere Wohnung ist zu klein, die Hunde sind froh, an der frischen Luft zu sein, und meine Tochter ist daran gewöhnt, stundenlang im Wald zu spielen: Sie geht in einen Waldkindergarten. In den ersten zwei Wochen hatten wir den Wald hinter unserem Haus beinahe für uns. Bis auf vereinzelte Spaziergänger und Hundebesitzer kreuzte niemand unsere Wege. Meine Tochter fand schnell einen neuen Rhythmus: Auf unserer Lieblingslichtung angekommen, streifte sie ihre Kleidung ab und buddelte in Unterwäsche in der Erde, bis ihre Hände, ihre Füße und ihr Gesicht so dreckig waren, dass sie aussah wie eine Mischung aus Ronja Räubertochter, Waldschrat und Kaspar Hauser.
Erst wenn es kalt wurde und bereits zu dunkeln begann, ließ sie sich zur Rückkehr in die Zivilisation bewegen. Zu Hause angekommen, blieb selten mehr Zeit als noch zu baden, zu essen und eine Gutenachtgeschichte zu lesen.
Inzwischen sind alle Waldwege von Radfahrern, Familien mit Picknickkörben und Paaren mit Nordic-Walking-Stöcken bevölkert. Am Wegesrand stehen Tipis und Bänke aus Baumstämmen, vor unserer Lieblingslichtung wurde gegrillt: Eine große verbrannte Stelle, leere Wurstpackungen und Bierdosen künden davon.
Unsere Lieblingslichtung ist um zehn Uhr morgens bereits belegt: Vorne stehen zwei Frauen und golfen, in der Mitte tanzt eine Frau mit Handy in der Hand Choreografien nach, hinten spielt ein Mann mit ein paar Jungs Fußball. Wir flüchten zurück in unsere Wohnung und bauen im Kinderzimmer mit Kuscheltieren und Zimmerpflanzen einen Wald nach.
Als meine Tochter schläft, sehe ich auf Facebook das Video einer Frau, die am helllichten Tag kreuz und quer über die ausgestorbene Karl-Marx-Allee tanzt, und Fotos von Füchsen auf dem Alexanderplatz. Eva-Lena Lörzer
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