berliner szenen: Alle haben sich eingerichtet
In den vergangenen Monaten hat unsere älteste Hündin uns immer wieder Sorgen bereitet: Im Sommer lief sie einem Apfel hinterher, den ein kleines Kind im Vorbeigehen just in dem Moment auf die Straße warf, als ich sie vor unserem Haus abgeleint hatte. Dabei geriet sie vor ein Auto. Vor Weihnachten entdeckten wir bei ihr dann ein Geschwür. Im Januar – sie hatte sich gerade von der Operation des Tumors erholt – entzündete sich schließlich ihre Gebärmutter und sie musste erneut unters Messer.
Nun ist sie wieder so fit wie eh und je und wir sind überglücklich, sie noch bei uns zu haben. Nicht nur, weil sie zur Familie gehört: Unsere Tochter, die nun nicht mehr mit anderen Kindern spielen kann, hat in ihr eine Spielkameradin, die im Gegensatz zu uns immer für wildes Herumtollen zu haben ist.
In den letzten Jahren waren die Hundespaziergänge für mich oft nur ein weiterer Punkt auf der To-do-Liste. Nun bin ich froh, zweimal am Tag an die frische Luft zu müssen und bei den stundenlangen Streifzügen nicht argwöhnisch beäugt zu werden. In den ersten Tagen der Corontäne sprangen Fremde wie Nachbarn beim Anblick von Hund und Kind aus dem Weg, bemühten sich krampfhaft um Abstand und grüßten aus Unsicherheit nicht einmal mehr.
Mittlerweile aber scheinen sich alle im Ausnahmezustand eingerichtet zu haben. Eine alte Dame lobt meine Tochter fürs Abstandhalten und lässt sie wissen, dass sie Kinder nicht als Keimschleudern sehe. Ein Nachbar, der für seine Kinder im Naturschutzgebiet eine Schaukel aufgehängt hat, meint, man müsse an einer Abstandskonstruktion arbeiten, damit die Kinder miteinander spielen könnten. Und ein Taxifahrer fragt im Vorbeifahren: „Leiht ihr mir den Hund, wenn es zur Ausgehsperre kommt? Ich will dann auch draußen rumhängen können!“
Eva-Lena Lörzer
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