berliner szenen: Aufruhr wegen Klopapier
Es ist lange her, dass ich meinen Freund dermaßen aufgebracht erlebt habe wie jetzt. Er redet so laut und schnell, dass unsere zweisprachige Tochter irritiert fragt: „Verstehst du Papas Schottisch? Kannst du übersetzen?“ Ich erkläre grinsend: „Papa wurde beim Versuch, an Toilettenpapier zu kommen, beinahe verhaftet.“ Dann erkläre ich ihr, wie es dazu kam.
„Uns ist das Klopapier ausgegangen. Also habe ich Papa gebeten, welches mitzubringen. Zu dem Zeitpunkt war er jedoch bereits in einem Supermarkt gewesen und hatte seine Einkäufe in seinen Hosen- und Jackentaschen verstaut.“ Er erklärt: „Weil ich keine Tasche dabeihatte und aus Umweltgründen keine Tüte kaufen wollte.“ Ich fahre fort: „Mit Tütensuppen und Zahnpastatube in den Taschen ist er für uns dann noch einmal in einen anderen Supermarkt gegangen.“ Er ruft wieder rein: „Aber als ich gesehen habe, dass Toilettenpapier ausverkauft ist, wollte ich nicht unnötig in der Schlange stehen und bin übers Drehkreuz gesprungen.“
Kaum auf der anderen Seite, erzählt er weiter, packte ihn ein Mann am Schlaffitchen, schrie „Stehenbleiben! Polizei!“ und hielt ihn fest. Aus Wut über die überzogene Reaktion befreite er sich aus dem Polizeigriff: „Woraufhin der Mann per Funk Unterstützung angefordert hat.“ Wenige Minuten später kamen gleich zwei Streifen der benachbarten Polizeistation: „Und weil ich keinen Kassenbon vorzeigen konnte, haben die Supermarktmitarbeiter in aller Ruhe in Anwesenheit von sechs Polizisten meine Einkäufe mit dem Sortiment abgeglichen, bis sie gemerkt haben, dass sie nichts davon führen.“
Unsere Tochter sieht uns beide eine Weile schief an. Dann schüttelt sie den Kopf und fragt in seltsam erwachsenem Ton: „Spinnen denn jetzt etwa schon alle wegen diesem Virus?“
Eva-Lena Lörzer
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