berliner szenen: Erstaunlich gut in Form, die Haare
Es muss an einem Sonntag gewesen sein, als Angela Merkel erklärt, dass ab sofort auch Friseure und Tattoo-Studios wegen Corona geschlossen bleiben müssten. Wir hatten uns sowieso schon gewundert, warum die ausgerechnet noch weiter arbeiten durften. Mein Mann seufzt etwas, aber nicht viel. Vielleicht hätte er sich doch noch mal von seinem libanesischen Friseur den Bart stutzen lassen sollen. Nun ist es zu spät. Unser 14-Jähriger hingegen läuft zu ganz neuen Formen auf. Seit Wochen, nein Monaten liege ich ihm in den Ohren, dass er doch bitte mal einen Friseurbesuch einplanen sollte. Die Haare werden länger und länger, aber auf eine Art und Weise, die einfach nur schlimm aussieht. Vor einem Jahr wäre das noch undenkbar gewesen, aber die Pubertät macht scheinbar, dass alles, was früher war, heute nicht mehr gilt. Oder so.
Abends verschwindet er im Badezimmer. Noch länger als gewöhnlich. Ich bin genervt. Als er nach einer Stunde wieder herauskommt, hält er einen Eimer in der Hand. Er hat sich gerade selber die Haar geschnitten. „Und damit der Abfluss nicht verstopft, hab ich das alles in den Eimer gemacht. Gut, oder?“
Gut. Aber noch viel besser ist die Frisur. Die Haare sind nicht nur kürzer, sondern erstaunlich gut in Form. Sehr erstaunlich, wenn man bedenkt, dass er dafür nur meine Papierschere hatte. Auf Instagram bekommt er gleich eine Anfrage von seiner Mitschülerin, ob er ihre Haare dann später vielleicht auch mal...
Mein Mann hat derweil auf YouTube gelernt, wie man selber Hefe macht. Die ist in den Läden unserer näheren Umgebung nämlich schon seit Tagen ein Defizit-Artikel. Jetzt steht hier der Hefe-Ansatz aus Datteln und Wasser. In einer Woche soll man damit backen können. Ich bin gespannt, was wir noch so alles lernen in diesen Wochen. Gaby Coldewey
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