berliner szenen: Leider eine Lücke weniger
Bei mir um die Ecke gibt es ein großes neues Haus. Bis vor gut einem Jahr war dort noch gar nichts, nur eine Lücke im Stadtbild. Auf der freien Fläche pflegte irgendeine Firma ihre Dienstwagen abzustellen. Darüber hinweg hatte man von der Straße aus freie Sicht auf die Rückseiten der Gebäude dahinter, hässliche, graue Kehrseiten Berliner Altbauten, die kein wirklich schöner Anblick waren.
Eines Morgens fing ein ungewohntes Detail mein Auge. Aus einem Fenster im dritten Stock eines Hinterhauses ragte der obere Teil eines Menschen. Eines Mannes, der, wie bei genauerem Hinsehen erkennbar war, auf einer Malerleiter am Fenster halb stand, halb am Fenstergitter hing. Nur das Oberlicht hatte er geöffnet, um ganz oben den Kopf hinausstrecken zu können. Offenbar ging es ihm darum, die Luft im Zimmer möglichst wenig zu kontaminieren mit dem, was er tat: rauchen.
Um seinen Körper hatte er lose eine Bettdecke gewickelt, darunter stak ein bleiches Bein hervor. Auch der nur teilweise bedeckte Torso sowie die Arme des Mannes waren nackt. Trotz der ungewöhnlichen, sicherlich auch unbequemen Position, in der er sich befand, strahlte seine Körperhaltung sorglose Entspanntheit und die kontemplative Zufriedenheit eines Menschen aus, der sich nach einer langen Nacht die erste Kippe des Morgens redlich verdient zu haben glaubt. – Ich freute mich über den Anblick, sah den Raucher in der Bettdecke aber danach nie wieder und dachte auch nicht mehr an ihn.
Bis jetzt, da das neue Haus dort steht. Es ist wirklich ein schönes Gebäude, ein großer ästhetischer Gewinn für seine Umgebung. Ich genieße die Verbesserung jedes Mal von Neuem, wenn ich daran vorbeikomme. Aber gleichzeitig finde ich es ein kleines bisschen schade um die Lücke, die damit für immer geschlossen wurde.
Katharina Granzin
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