berliner szenen: Bitte sprecht nicht nach dem Piep
Zunächst klingelt ununterbochen das Telefon: erst meine Tante. Sie redet ohne Punkt und Komma. Dann meine Mutter, ich solle mich unbedingt bei meinem Bruder melden, er habe wichtige Neuigkeiten. Und schließlich muss ich unsere Tochter von der Schule abholen, weil sie Bauchweh hat.
Der halbe Vormittag ist bereits rum mit Dingen, die ich eigentlich gar nicht vorhatte. Klar, das Leben ist eine Wundertüte, aber auf dem Schreibtisch wartet viel Arbeit, und gegessen hab ich auch noch nicht. Ich beschließe, das auf den Anrufbeantworter zu sprechen: „Hallo zusammen, am Schreibtisch wartet ein Haufen Arbeit, und gegessen hab ich auch noch nicht. Bitte sprecht nicht nach dem Piep, sondern geht ’ne Runde raus an die frische Luft, bevor das Wetter wieder umschlägt.“
Natürlich ruft in den nächsten Stunden keiner mehr an. Stattdessen klingelt es, kaum sitze ich am Schreibtisch, an der Haustür. Zwei Männer in dunklen Anzügen kommen durchs Treppenhaus, ich begrüße sie nicht gerade freundlich. Sie geben sich als Versicherungsvertreter zu erkennen und erklären, sie hätten mit meiner Frau einen Termin vereinbart. Schadensfall, Privathaftpflicht. Langsam dämmert es mir.
„Stimmt, der Termin“, sage ich. „Tut mir leid, dass ich unwirsch war. Aber es klingeln immer mal wieder Zeugen Jehovas an der Tür.“ Und da hätte ich jetzt gerade einfach keinen Bock drauf. Die beiden schauen mich an und sagen dann selbstbewusst, aber ohne Grimm: „Wir sind auch Zeugen Jehovas.“ Schluck … Und schon sitzen wir am Küchentisch und füllen Formulare aus. Nach zehn Minuten gehen die beiden zur Tür hinaus, als sei nichts gewesen.
Am Abend hört meine Frau den Anrufbeantworter ab, blickt mich erstaunt an und meint: „Irgendwas Besonderes heute gewesen?“ Jochen Weeber
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen