berliner szenen: Quasi ein zweites Leben
Seit ich über Online-Kleinanzeigen meinen nicht benötigten Besitz verkaufe, habe ich sehr unterschiedliche Menschen kennengelernt. Mit den meisten klappt der Handel problemlos. Manchmal gibt es anstrengende Mailwechsel, selten mal ist jemand richtig frech. Im Laufe dieses Jahres habe ich viele Päckchen an fremde Menschen geschickt. Hin und wieder kommt jemand vorbei und holt etwas persönlich ab. Ich mag das sehr zu sehen, wer meine Sachen haben möchte. So bekommen sie quasi ein zweites Leben und werden noch mal wertgeschätzt.
Ein trüber Montag, eine Nachricht im Posteingang: „Guten Abend! Ist das Preis verhandelbar? Für welche Preis Werden Sie die Platte abgeben?“ Bei der Platte handelt es sich um ein Vinyl-Album der russischen Pop-Ikone Alla Pugatschowa aus dem Jahr 1990, das ich für zehn Euro anbiete. Ich hatte es mir in Moskau gekauft, einmal gehört und nicht gemocht. Die Dame ist mit ihren 70 Jahren immer noch ein Superstar und hat auch in Berlin ihre Fans. Das ist schön. Nur diese Preis-Verhandlungen nerven mich ein bisschen. Weil ich für weniger als zehn Euro nicht aufwändig eine LP verpacken will, schreibe ich kurz: „8 Euro, wenn Sie die selber abholen.“ Fünf Minuten später kommt die Antwort: „Vielen Dank. Ich nehme die Platte. Wo und wann wäre es möglich sie abzuholen? Haben Sie noch Russische Platten zu verkaufen?“
Wir verabreden uns für Dienstagabend. Um 19 Uhr steht er pünktlich vor der Tür, ein Russe um die 40 aus Charlottenburg. Er freut sich, dass die Platte neuwertig ist. Normalerweise höre er nur Rockmusik, aber „wenn ich eine Platte aus der Kindheit sehe, muss ich die kaufen, auch wenn ich wenig Platz habe“. Zwei Stunden später schickt er noch eine SMS: „Tolle Platte. Danke.“
Gaby Coldewey
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