berliner szenen: Im Dunkeln sieht man besser
Ich habe so viel Alkohol im Blut, das tötet alle Bakterien“, antwortet eine Frau in der Eckkneipe in der Sonnenallee dem Mann, der sie, als sie hustet, fragt, ob das nicht das Coronavirus sei. Sie sagt, außerdem habe sie schon eine Bauhaus-Maske dagegen.
In dem Moment platzt eine andere Frau rein. „Scheiße, Scheiße!“, sagt die Barfrau, eilt zur Musikanlage, stellt die Musik leise, verteilt Wunderkerzen und bunte Partyhüte und fängt an zu singen. Alle singen das Geburtstagslied mit und umarmen die Frau, die alle Be nennen und die 65 wird. Eine Frau singt ihr auf Thailändisch ein Ständchen. Be fängt an zu weinen und wird noch mehr umarmt und geküsst (auch von der hustenden Frau).
Außer uns scheinen alle Be gut zu kennen. Sie kommt zu uns, und wir gratulieren. Sie berlinert so stark, dass ich sie kaum verstehe. Aber ich lobe ihre Ohrringe, zwei hängende Skelette, und sie erzählt, dass sie im Dunkeln leuchten. „Sie leuchten immer, nur dass man das mit Licht nicht sehen kann. Man sieht ja besser im Dunkeln“, sagt sie.
Dann redet sie über ihre Haare und ihren Friseursalon, vielleicht weil es uns schwerfällt, ihren weißen Puppenzöpfen, die ständig in Bewegung sind, mit den Augen nicht zu folgen.
Sie fragt, was wir trinken möchten, und schaut uns schrägt an, als wir „Baileys“ sagen. Sie sagt, es gebe Tequila, und wir nehmen ihr Angebot an. Nur die Zitronen fehlten, sagt sie und geht im T-Shirt raus, um sie zu besorgen. „Um drei Uhr nachts?“, fragen wir hinterher, aber sie ist schon längst weg.
Vielleicht gibt es einen Zitronenbaum in Neukölln? „Fertig!“, sagt sie wenig später mit zwei Zitronen in der Hand, und die Barfrau hebt den Daumen. Wir gucken sie mit Bewunderung an. „Schawarmaladen“, zwinkert sie uns zu. Wir stoßen alle auf Be an und feiern weiter.
Luciana Ferrando
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