berliner szenen: Vielleichtja doch verrucht
Der Wartebereich in der Radiologie in Tegel ist ein Nicht-Ort. Ein Durchgang vor einer Reihe Kabinen, durch die man hindurch muss, um zum CT zu gelangen. Um ihn zu einem menschlichen Ort zu machen, legte jemand Christbaumkugel in eine Schale.
Ein Versuch.
Aber viel besser noch schlagen sich die Patienten, die den Durchgangsraum in eine Kneipe verwandeln.
„Die haben mir alles aufgeschnitten, kreuz und quer“, sagt eine ältere Dame zu ihrem Nebenmann und zeigt auf ihren Bauch, sie meint ihren Krebs. „Haben Sie nen Whisky getrunken gestern?“, fragt der Mann neben ihr sie später, in die Stille hinein. „Nee.“ „Aber ich!“ „Soll ja gesund sein.“ Und dann geht’s los.
„Wo sind Sie früher tanzen gegangen?“, fragt er, als habe er realisiert, dass sie an Gesprächsstoff womöglich viel mehr noch zu bieten hat als ihre Krankheiten. Ein prallvolles Leben, womöglich ein verruchtes.
Sie listet auf: „Klosterkeller, Eierschale, Badewanne.“ – „Rauchen hab ich aufgehört nach der Geschichte am Bauch.“ 75 sei sie gewesen. „Na, da hätten Se ja noch …“ Sie winkt ab, das habe sie nicht mehr gewollt. Hebt den Kopf, stolz und entschieden.
Sie soll einen Behälter leertrinken, bevor sie in die Radiologie darf. „Ich spendiere was, besser als Cognac“, sagt sie. Es dauert nicht lange, dann hat der Mann neben ihr einen Schlager angestimmt: „Anita“.
Er versucht sie sogar zum Essen einzuladen. Sie winkt dankend ab.
„Die war süß“, sagt er, als sie später durch eine der Türen gegangen ist. Und auch der Mann auf der anderen Seite, bisher ruhig, ist plötzlich zum Scherzen aufgelegt, als sie dran ist.
„Ist da kein Pfand drauf?“, fragt er, als eine der Mitarbeiterinnen die leeren Behälter wieder wegräumt.
Lea De Gregorio
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