berliner szenen: Blutspuren an den Wänden
Es muss in der vierten Grundschulklasse gewesen sein. Wut und Eifersucht waren im Spiel. Maßnahmen müssten ergriffen werden, entschied meine Freundin Katja. Wir stahlen Tafelkreide aus dem Klassenraum, trafen uns auf dem nachmittäglich verwaisten Schulhof und malten an alle Wände meterhohe Herzen, in die wir „Anne + Olaf“ schrieben. Kaum zurück zu Hause, klingelte das Telefon. Das Rathaus! In einem Dorf bleibt nichts geheim. So erfuhr meine Mutter von den Schmierereien und davon, dass Katja und ich sofort alles sauber machen müssten. Der Hausmeister empfing uns mit Putzeimern. Ich schämte mich zu Tode. Graffiti habe ich seitdem nirgends mehr hinterlassen und auch nichts mehr geklaut.
An diese alte Geschichte musste ich denken, als kürzlich zwei Jugendliche meinen Balkon reinigten. Und das war so gekommen: Am Freitag hatte in der Wohnung über uns eine spontane Balkonparty stattgefunden. Erst hörten wir Stimmen, später Gebrüll. Mehrmals wachten wir von der zuknallenden Haustür auf, gegen zwei verließen die letzten Jugendlichen das Haus. Am Morgen zeugten ein voll gekotzter Vorgarten und ein ebensolcher Balkon vom Ausgang des Abends. Meine Nachbarin verwies auf eine zu Bruch gegangene Fensterscheibe im Treppenhaus und auf Blutspuren an den Wänden.
Um halb zehn klingelten zwei reuige 18-Jährige. Sie wollten sich entschuldigen. Das mit der Scheibe würden sie wieder in Ordnung bringen, Mama sei schon informiert. Mein Mann drückte ihnen einen Putzeimer in die Hand. „Aber ihr macht natürlich auch wieder sauber, okay?“ Wenig später stand der kleine Putztrupp auf unserem Balkon, mit Eimer und Lappen. Sofort hatte ich dieses Déjà-vu. Ich kann mir gut vorstellen, dass die beiden mit Alkohol erst mal durch sind. Gaby Coldewey
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