berliner szenen: Nicht so jung sterben müssen
Früher hat mir meine mittlerweile verstorbene Oma in regelmäßigen Abständen per Post ausgeschnittene Artikel geschickt. Seit mein Vater in Rente ist, schickt er mir alle Fundstücke, die er als spannend erachtet, per Mail.
Heute hat er einen Film ausgegraben, der bei einem Jugendtheaterstück über Michael Jackson entstanden ist und den ich, obwohl ich den Dreh dramaturgisch begleitet habe, nie als Ganzes gesehen hatte.
Beim Anblick der jungen Darsteller*innen laufen mir kalte Schauer über den Rücken. Zwei von ihnen, damals 16 und 18 Jahre alt, sind inzwischen gestorben. Der eine ist noch während der Spielzeit erkrankt, der andere schon ein Jahr später unter ominösen Umständen ums Leben gekommen.
Ich erinnere mich an meine letzte Begegnung mit ihm. Er hatte mich angerufen, aber keinen Ton gesagt. Erst nach mehrmaliger Nachfrage, ob alles in Ordnung sei, erzählte er, dass sein Freund – der andere Darsteller – soeben verstorben sei und er nicht wisse, was er mit sich anfangen solle. Er war gerade erst nach Berlin gezogen, wohnte noch in einem Hostel und kannte außer dem Regisseur des Stücks und mir niemanden in der Stadt.
Wir trafen uns am Savignyplatz. Er aß eine Currywurst und erzählte mir, dass er sich für Medikamententests zur Verfügung stellen wolle, „damit andere nicht so jung sterben müssen“. Monate später fragte er noch mal, ob ich Zeit hätte. Ich schrieb aber gerade meine Diplomarbeit und vertröstete ihn. Dann verloren wir uns aus den Augen.
Viele Jahre später dachte ich an ihn. Aber erst durch sein Facebook-Profil erfuhr ich, dass er gestorben ist. Im Schlaf, wie seine Freunde auf Nachfragen schrieben. Was die Ursache war, wurde nie festgestellt. In dem Film lacht und tanzt er wie eh und je. Auf Zelluloid gebannt für immer in Neverland.
Eva-Lena Lörzer
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