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berliner szenenIch danke Berlin herzlich

Gerade als ich das Haus verlasse, beginnt es zu gewittern. An der Bushaltestelle sitzt ein Mann und starrt vor sich hin. Als ich mich neben ihn setze, sieht er auf und fragt in Zeichensprache nach der Uhrzeit. Ich gehe davon aus, dass er stumm ist und zeige ihm mein Handy. Er malt ein Fragezeichen in die Luft.

Also versuche ich es doch mit Sprache: „Kurz vor 23 Uhr.“ Er zuckt mit den Schultern. Ich wiederhole die Zeit auf Englisch. Er nickt, tippt etwas in sein Handy und hält es mir hin. Auf dem Display steht: „Kommt hier irgendwann noch ein Bus?“ Ich zeige ihm fünf Finger und sage: „Five minutes.“ Er tippt wieder. Ich lese: „Was ist das für ein Wetter? Ich danke Berlin herzlich auch. Russland solch Himmel nicht gewöhnt. Schlecht schwarz. Voller Wolken mit Nass und Blitz und Grau und nicht Blau.“ Ich muss lachen.

In zehn Tagen fliege ich nach St. Petersburg. Die Unterhaltung gibt mir einen Vorgeschmack auf die dadaistischen Gesprächsversuche, die mich dort erwarten. Ohne zu wissen, warum ich lache, stimmt der Mann in das Lachen ein. Dann versucht er, sich pantomimisch weiterzuunterhalten. Ich verstehe nur, dass er in Berlin auf einer Baustelle arbeitet. Der Rest erschließt sich mir nicht.

Mit einem Mal kommen drei klitschnasse Teenager angerannt und stellen sich zwischen uns. Das Mädchen schreit: „Bei Blitz und Donner in ’nen Tümpel gehen. Ihr seid solche Vollpfosten! Ich höre nie wieder auf euch! Jetzt werden wir krank!“ Wie zur Bestätigung schnieft der eine der beiden Jungs vor sich hin. Das Mädchen schubst ihn: „Siehst du! Du bist schon voll krankenhausreif!“ Er spuckt ausladend auf den Boden. Amüsiert verfolgt meine Bushaltestellenbekanntschaft die Szene. Ich schneide eine Grimasse und sage: „Welcome to Berlin!“ Er grinst: „Love it.“

Eva-Lena Lörzer

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