berliner szenen: Brutale Stille in der U-Bahn
Ein Mann schreit eine Frau aus Luft an. Sie sei hässlich und er wolle ihr die Kehle auf der Schlachtbank durchschneiden – wirklich sehr unschöne Sachen. Er hat ein rotes Gesicht und eine graue Kapuze über dem Kopf und steht in der Berliner U-Bahn.
Es ist Mittag und er scheint ziemlich besoffen. Alle schauen weg, auf ihr Handy oder nach draußen – obwohl da nur Dunkel ist, weil die Bahn grade unter der Erde fährt. So viel Hass und Aggression auf so engem, fahrendem Raum ist sehr anstrengend, denke ich als ich wie alle anderen versuche wegzuhören. Es gibt kein Entkommen.
Auch ich schaue auf mein Handy und schüttele innerlich den Kopf, so starke Wörter und keiner sagt etwas dagegen. Ich auch nicht. Das was er sagt, ist brutal, denke ich, die Stille der Mitfahrenden aber irgendwie ebenso. Auch Stille kann brutal sein, denke ich und sage mir dennoch: möglichst ignorieren. Ignorieren ist in solchen Situationen wohl das beste Mittel, vielleicht das einzige. Ignoranz ist etwas, was man in dieser Stadt ziemlich schnell lernt.
Ich frage mich, ob man die auch irgendwann wieder los wird, diese Ignoranz. Angst habe ich nicht, wer länger in Berlin lebt, weiß, glaube ich, dass solche Menschen einem nichts antun. Sie nehmen ihr Umfeld ja nicht wahr. Es sind alle gleich ignorant, denke ich. Aber gäbe es so etwas wohl auch in einer Kleinstadt? Wahrscheinlich stünde den Menschen dann, wenn sie schon nichts sagten, wenigstens etwas Entsetzen im Gesicht. Hier kommt es einem fast so vor, als seien sie es gewöhnt.
Der Mann mit der Kapuze beschreibt schreiend, wie er sich wünscht, dass das Blut von der Frau aus Luft aus ihren Körperöffnungen spritzt während er die Luft anbrüllt. Nach ein paar Stationen steigt er wieder aus und ich bin sehr erleichtert.
Lea De Gregorio
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