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berliner szenenWir sind doch nicht in London

Ich habe zum Lesen eine Bank am Kanal gefunden. Sonne scheint durch Zweige, das Buch ist gut, nachmittägliches Leben treibt vorbei, ohne mich zu stören. Plötzlich dringt Geschrei in mein Bewusstsein. „Runter vom Fahrrad!“, höre ich einen schreien.

In wenigen Metern Entfernung hat sich ein zerrupft wirkender Mensch quer über den Weg gestellt, um einen Radfahrer aufzuhalten. „Radfahren ist hier verboten!“, brüllt er ihn an. Er schwankt leicht dabei. „Du spinnst doch, Alter!“, brüllt der andere zurück und drängt sich vorbei.

Der Zerrupfte lässt sich widerstandslos zur Seite schieben, um sich gleich seinem nächsten Opfer entgegenzuwerfen: „Radfahren ist hier verboten!“ Diesmal ist es eine ältere Dame, die sofort vom Rad steigt und sanft sagt: „Ja, Sie haben ja Recht. Lassen Sie mich bitte durch.“

Danach kommt eine Kleinfamilie; Eltern zu Fuß, Söhnchen auf dem kleinsten Fahrrad der Welt. Dem Zerrupften ist das egal: „Radfahren ist hier verboten!!“ Im Fami­lienvater wird der Beschützer­instinkt wach. Er greift nach seinem Handy. „Was soll der Scheiß? Ich ruf die Polizei!“ – „Das ist ein Gehweg!“, brüllt der Zerrupfte ihnen hinterher, ist aber sicherheitshalber zur Seite gegangen. So sturztrunken ist er vielleicht gar nicht.

Später überzeuge ich mich, dass er in der Sache unrecht hat. Der Uferweg ist als öffentliche Grünanlage ausgewiesen, also ist Radfahren sogar offiziell erlaubt.

Was in Deutschland außerdem erlaubt ist: auf jeder beliebigen Seite eines Bürgersteigs zu gehen. Auch auf der linken. Das wusste jene Frau wohl nicht, die sich mir neulich mit ausgebreiteten Armen in den Weg stellte und rief: „Rechts gehen! Wir sind hier doch nicht in London!“

Ja, was soll man sagen? In einem haben diese Leute ja recht: Die Stadt ist einfach zu voll geworden.

Katharina Granzin

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