berliner szenen: Scherben bringen Glück
Nach 15 Kilometer Radeln entlang einer grünen und – für mich – neuen, bis dato unbekannten Route ist das temporäre Urlaubsfeeling, das ich vom Schlachtensee mitgenommen habe, spätestens an der Ecke Mehringdamm/Yorckstraße wieder verflogen. Es ist 1 Uhr nachts an einem Sonntag und ich frage mich, warum die Kreuzung voller Menschen ist und diese wie Zombies zwischen Müllhaufen und Polizeiautos hin und her laufen. Ich denke an verschiedene Optionen (von Demo bis Filmdreh) und dann dünkt mir, dass die Szenerie mit dem Ende des Karnevals der Kulturen zu tun haben muss. Wie gut, dass ich nicht in der Stadt war, denke ich, während ich versuche, brüllende Männer, die den Radweg mit ausgebreiteten Armen absperren, nicht über den Haufen zu fahren.
Andere spielen auf der noch abgesperrten Straße mit Einkaufswagen, werfen Bierflaschen und werden von einem Balkon wiederum mit Gegenständen beworfen. Ich versuche, mich ausschließlich auf meinen Hunger zu fokussieren, denn nach dem schönen Tag am See träumte ich davon, etwas Besonderes zu essen. Doch alle Läden in der Bergmannstraße machen gerade dicht. „Feierabend!“, rufen die Kellner*innen. Ich muss mich mit einer Pizzeria in der Zossener Straße zufriedengeben. Für ein Stück Margherita muss ich eine halbe Stunde anstehen und werde dazu von dem Fitness-Studio-Technosound mürbe gemacht. Vor der Tür ist es ebenso laut: BSR-Kommandos fangen an, die Straßen zu reinigen, Krankenwagen brettern mit Blaulicht und Martinshorn vorbei.
Gneisenaustraße, Hasenheide, ja sogar Karl-Marx-Straße sehen aus, als sei hier Kriegsgebiet. „Scherben bringen Glück“, bläue ich mir ein, während ich versuche, Scherben und kleinen Glasresten auszuweichen, die auf meinem Weg liegen.
Luciana Ferrando
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