berliner szenen: Die Coolen und die Zappler
Von manchen Bands wäre man fast Fan geworden, hätte nicht der kleine Bruder eines Tages eine Platte davon stolz mit nach Hause geschleppt. Die Smashing Pumpkins waren so eine Band meiner musikalischen Früherziehung. Nie im Leben hätte ich gedacht, sie einmal live zu sehen. Nun stand ich unweit der Bühne. Außer dem Vater, der mit einer Mutter hier sein sollte, die sich aber durch mich vertreten ließ, weil ihre jüngste Tochter noch kein autonomes Zubettgehritual entwickelt hatte und so nicht babysittertauglich war, und einer französischen Familie tanzte am Anfang niemand.
Das Publikum strich sich die getrimmten Bärte oder über die künstliche Glatze und klammerte sich an seinen Ruf, schwierig zu sein. Nur drei Mal brach es in Begeisterungsstürme aus. Immer dann, wenn Corgan mit knarziger Stimme „Berlin“ in die Menge rief. In der Zwischenzeit wurden Selfies geschossen, Freunde zugetextet oder Bier in Plastikbechern über Köpfe balanciert. Tanzen oder mitsingen? Aber hallo! Weiß geschminkt spulte Corgan zunehmend abgetörnt sein Programm ab. Erst die Lieder von „Gish“. „Die, die auf der Platte sind“, simste ich meinem Bruder, „die ich mal aus London mitgebracht habe, noch bevor du ....“. Corgan verschwand hinter der Bühne, der aufgekratzte Zweitgitarrist sang ein Cover von „Friday I’m in love“.
Endlich schunkelten die Spandauer. Die Berliner Hipster verzogen dagegen tussyesk die Augen, so sortierte ich das Publikum anhand dieser Songline in zwei Gruppen. Als ein Pink-Floyd-Cover das Ende des Konzerts einläutete, zerfiel das Publikum in dieselben Fraktionen: die Coolen und die Zappler. Zuvor hatten sich zwei Brüder, die die ganze Zeit starr nebeneinandergestanden hatten, bei der Zeile „The Killer in me is the killer in you“ angefeixt. Timo Berger
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