berliner szenen: Dieser Koffer ist leider zu alt
Wie alt ist der Koffer?“, fragt die Frau am Schalter. „So sieben Jahre vielleicht?“ Vielleicht auch älter, aber das sag ich lieber nicht. Denn ich will Geld für ihn, Reparatur, Schadenersatz. Denn der Koffer kam kaputt aus dem Flugzeug und deswegen steh ich jetzt hier. „Gut.“ Sie gibt mir einen Adressaufkleber. „Da schicken Sie den mal hin und die melden sich dann.“ Ich nicke, schlepp’ den kaputten Koffer nach Hause und am nächsten Tag zur Post. Es dauert ’ne Weile, bis sich der Kofferservice meldet, aber er tut es. Enthusiastisch klingt die Dame am Telefon. „Wir haben Ihren Koffer!“ Dann wird sie ernst, so ernst, als hätte sie mir ’ne Todesmeldung zu machen. Hat sie auch. „Nur können wir den leider nicht reparieren. Und Schadensersatz gibt’s auch nicht, weil der älter als sechs Jahre ist.“
„Ach“, sag ich.
„Ja“, sagt sie.
„Und jetzt?“
„Jetzt schicken wir Ihnen den wieder zurück.“
„Aber er ist doch kaputt!“
„Und wir können ihn leider nicht reparieren.“
„Das haben Sie schon gesagt.“
„Aber behalten dürfen wir ihn auch nicht.“
„Ach.“
„Ja.“
Wir schweigen uns an. Ich denke über sieben Jahre nach; worüber die Dame nachdenkt, weiß ich nicht. Schließlich legen wir auf, und ich kriege Post von der Post: Da wäre ein Koffer für mich, in der Filiale. Ich überlege, ihn dazulassen, bis er zurückgeschickt wird. Dann schicken die ihn wieder zu mir, ich hol ihn nicht ab, wieder zurück, wieder zu mir … Mal sehen, wer länger durchhält. Aber dann hole ich ihn doch, trage ihn hoch in meine Wohnung. Direkt von der Post in den Müll, das kann ich nicht. Dann stehen wir da, der Koffer und ich. „Tja, mein Freund“, sage ich schließlich und trag’ ihn wieder runter. „Du bist einfach zu alt. Tut mir leid.“ Joey Juschka
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