berliner szenen: Post vom Gesund-heitsamt
Wegen eines besorgniserregenden Verdachts verbringe ich meinen Samstagnachmittag im Wartezimmer des Jüdischen Krankenhauses. Dort geht es zu wie in einem Café: Eine arabische Großfamilie skypt, ein Pärchen keift sich an. Als ein neu eingetroffenes Mädchen gleich drankommt, stöhnt der Mann neben mir. Ich sage: „Vielleicht ein Notfall. Man kann den Leuten ja nicht ansehen, was sie haben.“ Und füge hinzu: „Man würde doch auch nicht denken, dass ich hier wegen Typhus-Verdachts sitze.“ Er grinst: „Nee. Genauso wenig wie man meinen würde, dass ich Lepra habe.“ Ich runzle die Stirn. Er lacht: „War ein Spaß.“ Ich erkläre: „Ich meinte es ernst.“
Ich erzähle ihm, dass ich überzeugt war, Grippe zu haben, ehe ich am Tag zuvor ein Schreiben vom Gesundheitsamt bekam, dass eine meldepflichtige Krankheit festgestellt wurde: „Da war meine Arztpraxis nicht mehr erreichbar und eine Ärztin aus dem Bekanntenkreis meinte, dass meine Symptome von allen meldepflichtigen Krankheiten auf Typhus hindeuten.“
Endlich werde ich aufgerufen. Ein Arzt untersucht mich, hört sich den Krankheitsverlauf und die Ferndiagnose meiner Bekannten an, schaut auf den Brief vom Gesundheitsamt und sagt: „Da Grippe nicht meldepflichtig ist, muss es Typhus sein.“ Er verschreibt mir ein Antibiotikum. Auf dem Weg nach draußen rufe ich dem Mann im Wartezimmer zu: „Tatsächlich Typhus! Hoffentlich stimmt Lepra nicht auch!“ Er zuckt zusammen.
Als ich am Montag zu meiner Hausärztin gehe, bekommt sie sich vor Lachen kaum ein: „Sie haben Influenza, die sogenannte echte Grippe. Wie kommen die Kollegen denn bitte auf so etwas Absurdes wie Typhus? Alle Ärzte müssen doch wissen, dass Influenza auch meldepflichtig ist.“
Eva-Lena Lörzer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen