berliner szenen: Betrachtung eines Bürgerkinds
Am Hermannplatz werden Autofahrer, die weder blond sind noch blaue Augen haben, mit ihren Edelkarossen in eine Mausefalle geschleust. Die Beamten sind mit Maschinenpistolen bewaffnet. An all diesen Details erkennt man, dass es sich um eine jener in der Presse lancierten Maßnahmen gegen „Clankriminalität“ handelt.
Wir gaffen vom Markt auf der Mittelinsel des Platzes hinüber: Jetzt steigt gerade so ein Toni-Hamadi-Typ in olivgrünem Jogginganzug aus seinem Benz-Coupé. Ich finde es grundsätzlich gar nicht falsch, wenn die Polizei die Kriminalität bekämpft, anstatt im Auftrag menschenfeindlicher Politik Kinder zu verkloppen. Einen schalen Beigeschmack hat jedoch, dass das hier nur über Racial Profiling in Verbindung mit dem Merkmal „Protzkutsche“ funktioniert.
Ich tendiere nicht dazu, mit den Besitzern teurer Autos überproportionales Mitleid zu haben. Und natürlich mache ich mich über gut situierte Biobürger mit SUVs lustig. Die Grünen zu wählen und uns gleichzeitig den Planeten unterm Arsch wegzuziehen, finde ich sehr originell, und Spott von unten nach oben geht immer. Andersrum ist halt doof. Aber ich erinnere mich auch an eine Freundin. Die war nicht links, sie war linksradikal. Als Kind las sie auf dem Feld die vergessenen Kartoffeln auf, ihr Vater konnte kaum lesen und schreiben. Sobald sie konnte, kaufte sie sich einen Sportwagen.
Wie soll ich das letztlich beurteilen? Denn mir Bürgerkind fehlte stets nicht nur der unbedingte Ehrgeiz, sondern auch komplett der materielle Hunger auf Scheiß. Doch für die einen ist es bloß Scheiß – und für die anderen ein Symbol dafür, dass sie über ihre ungünstige Ausgangssituation triumphiert haben. Und zwar mit sehr viel Arbeit. Auch solche Fälle werden hier herausgezogen – das lässt sich gar nicht vermeiden. Uli Hannemann
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