berliner szenen: Kokos mit überreifer Pflaume
Die U6 in der Gleitzeit zwischen neun und zehn Uhr (Büromenschen fahren da zur Arbeit) ist eine einzige große Shower-Gel-Challenge. Die Menschen schmiegen, drücken und pressen sich aneinander und beriechen sich.
Was sind die neuesten Trends? Mehr Zitrone liegt in der Luft, Hibiskus hält sich immer noch. Kokos mit diesem leichten Nachduft von überreifer Pflaume, das scheint neu zu sein. Aber vielleicht sind das auch Rückstände. Wenn ich mich ganz dicht an den Mann im schwarzen Gehrock heranwage, nehme ich Moschus, Zedernholz und Honig wahr. Wie eine kleine Bergkirche auf zwei Beinen. Oder, wie es Karl Lagerfeld sagen würde: eine duftende Jogginghose unter Kontrolle. Der verstorbene Modeschöpfer wird gerade auf dem Bildschirm über den Köpfen der U-Bahn-Fahrer zu Grabe getragen. Der Bildschirm sagt, dass seine Katze bei der Beerdigungsfeier dabei war und Lagerfeld vorher dafür plädierte, seine Asche in die Mülltonne zu schmeißen. In Berlin wäre so was verboten. Hier ist alles genau geregelt.
Erstaunlich ist, dass die Hipster in der U-Bahn jetzt Echt Kölnisch Wasser nehmen. Und das nicht zu knapp. Sicher fallen gleich einige bei so viel sterilem Alkohol in Ohnmacht. Aber die Hipster sind genau gesehen nur konsequent. Sie sind eben die urban conservatives mit Komplex. Klingt schön, oder? Auf jeden Fall wie ein Therapieangebot in Schöneberg: „Ganzheitliche Behandlung Ihres Urbankomplex.“
Die eigentlichen Gewinner sind die ohne Duschbad und ohne Zähneputzen. Die U-Bahn-Gemeinschaft behandelt sie zwar wie Aussätzige mit gehörigem Abstand. Aber dafür haben sie Platz. Sie stinken von Wedding bis Friedrichstraße vor sich hin und steigen dann entspannt aus.
Die anderen sind jetzt schon gestresst. Zu viel Duschen übersäuert nicht nur die Haut, sondern auch den Kopf. Theresa Heinewald
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