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berliner szenenWas mache ich hier, wer bin ich?

Schwarz wie Lederjacke, weiß wie Haare, rot wie die mit Salami belegten, auf Papptellern liegenden Brötchen. Das warme Licht verwirft Schatten auf die Gesichter der Stammgäste, die sich am Sonntagnachmittag das Punk-Konzert im „Zum Goldenen Hahn“ anschauen. Ein postmoderner Caravaggio, denke ich. Wir gingen am Heinrichplatz vorbei, ein Freund, der in der Kneipe arbeitet, machte ein Handzeichen, und wir kamen rein. Es ist voll und laut, die Mehrheit des Publikums Ü60. Tanzend trinken sie Schnaps, lachen und schwitzen, obwohl draußen Minusgrade herrschen.

Die Zugabe heißt „Das Ende der Welt“. Ein zwei Meter großer Mann fragt uns, wie „Gesundheit“ auf Spanisch heiße, und was die Griechen dazu sagen. Eine Frau fragt eine Freundin, ob sie lesbisch sei. „Na ja, wegen deiner alternativen Freunde“, sagt sie und zeigt auf uns. Wir zucken mit den Schultern. Die Musiker bekommen Umarmungen, und als wir gehen wird weitergefeiert, gestritten, gebaggert.

Am nächsten Abend sind wir wieder da, ohne Livemusik. Ein älterer Mann torkelt zu uns, hört kurz zu und sagt, er könne kein Spanisch, aber Portugiesisch. Meine Freundin sagt aus Spaß, sie komme aus Portugal. Der Mann strahlt. Seine blaue Augen gucken vor sich hin, seine dicke Finger verknoten sich. „Aaach …“, sagt er und man sieht, wie er sich vorstellt, er sei am Meer, vielleicht in einem kleinen Boot und mit einer ähnlichen Mütze wie derjenigen, die er trägt. Er sei 1975 dort hingezogen, wir fragen nicht warum. Als meine Freundin zugibt, Portugiesin aus Westdeutschland zu sein, lacht er. Er möge es auch, Witze zu machen. „Brincadeiras.“ Ein paar Minuten später fängt er an zu weinen. „Was mache ich hier, was bin ich, wer bin ich?“, fragt er. Ich halte seine warme Hände, der Barmann gießt ihm noch ein Glas Apfelwein ein.

Luciana Ferrando

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