berliner szenen: Jetzt bloß kein Smalltalk
Zum ersten Mal seit der Geburt meiner Tochter bin ich länger alleine. Erst nehme ich mir vor, endlich mal wieder etwas zu unternehmen. Dann ziehe ich es vor, nichts zu machen. Kurz nach Neujahr habe ich mich bereits in der Stille eingerichtet. Als meine Hunde bei einem nächtlichen Spaziergang auf einen fremden Hund zurennen, zucke ich zusammen: Jetzt bloß kein Smalltalk!
Die beiden aber wollen mit dem jungen Hund spielen. Eine Weile laufen der Hundebesitzer und ich stumm nebeneinander her. Schließlich wird mir die Stille unheimlich, ich frage: „Hatte Ihr Hund an Silvester auch solche Angst?“ Er antwortet nur: „Nö, ich war ja da.“ Ich erkläre, dass ich auch entschieden hätte, bei meinen Hunden zu bleiben, statt wie geplant zu Freunden zu gehen. Da beginnt er zu erzählen: „Ich bin alleinerziehend. Neben den vier Kindern habe ich eh schon lange kein Sozialleben mehr. Dieses Jahr war das erste, dass ich nach zwölf nicht alleine war.“
Er tätschelt seine Hündin. Ich sage: „Für vier Kinder und einen Hund zu sorgen ist aber eine Leistung.“ Er mustert mich: „Es gibt Tausende alleinerziehende Mütter. Von denen erwartet jeder, dass sie sich kümmern. Dabei ist das doch für Väter genauso selbstverständlich, wenn die Mutter abhaut.“ Meine Neugierde siegt über meine Höflichkeit. Vorsichtig sage ich: „Dass eine Mutter ihre Kinder verlässt, ist aber ungewöhnlich.“ Er murmelt: „Sie hätte die Kinder auch mitgenommen. Die wollten aber nicht.“ Wir schweigen wieder. Dann meint er: „Mittlerweile kommen wir aber gut zurecht. Nur das Jugendamt ist eine Pest: Die haben gedroht, die Kinder wegzunehmen, wenn ich weiter Vollzeit arbeite. Jetzt habe ich eine befristete Teilzeitstelle und kann nur hoffen, dass die mich übernehmen. Aber das Jahr hat ja gut angefangen.“ Eva-lena Lörzer
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