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berliner szenenTrübe Tasse namens Winterworld

Wer sich zu dieser Jahreszeit nach draußen begibt, um ein wenig Tageslicht zu erhaschen, tut das vergebens. Andere sind offenbar schon besser informiert, selbst im Treptower Park ist man so gut wie allein. Fast alle Fressbuden haben geschlossen, obwohl es Sonntag ist. Sperr eine Katze mitsamt Futternapf in einen dunklen Kühlschrank und sie wird nicht fressen. Halte eine gut gedüngte Pflanze in ewiger Finsternis und sie geht ein. Versuche, kurz nach der Wintersonnenwende einen Crêpe an einen weinenden Spaziergänger zu verkaufen, und du wirst scheitern. Er wird durch dich hindurchsehen, mit leerem Blick, die hängenden Mundwinkel schleifen durchs tote Laub. Dann greift er in seine Jackentasche, um, wie du vielleicht denkst, einen angebrannten Crêpe mit Senf zu erwerben, oder auch Schlimme Suppe mit Trauerklößen. Doch er zieht nicht seinen Geldbeutel, sondern ein Messer. Zum Glück bist du nicht der Verkäufer und gehst eilig weiter. Im Rücken röchelnd Wehgeschrei.

Es ist Mittag oder Mitternacht, wer weiß das schon genau. Die Sonne scheint gleichzeitig auf- und unterzugehen, in einer diffusen bodennahen Himmelsrichtung, die man am besten Wosten nennt oder Esten, Hades oder Hass. Die lichtlose Welt dieser Tage wirkt begrenzt wie in der Truman Show, nur mit dem Unterschied, dass „Winterworld“ nicht unter einer lichtdurchfluteten Kuppel simuliert wird, sondern in einer riesigen trüben Tasse, über deren Rand wir erst im März wieder blicken können. Im Treptower Hafen liegen die „Frohsinn“ und die „Heiterkeit“ vertäut im Zwielicht. Laut möchte man aufheulen ob des Hohns, doch es kommt nur ein verzagtes Krächzen. Auf der Wiese nebenan ringen Eichhorn und Nebelkrähe verzweifelt um die letzte hohle Nuss. Und der Winter fängt gerade erst an. Uli Hannemann

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