berliner szenen: Fredericia, ein Abenteuer
Ich weiß nicht, was ich für ein Gesicht ziehe, dass der Angestellte am Informationsschalter der Deutschen Bahn mich so mitleidig anguckt. Warum der Zug nach Hamburg gecancelt wurde, kann niemand sagen, erklärt er mir, wie man einem Kind erklärt, dass man Sterne nicht zählen kann.
Ist das echtes Mitleid oder Routine? Ein schlechtes Gewissen hat er bestimmt, als ich ihm sage, dass es sich, wenn ich erst abends in Kopenhagen ankomme und am nächsten Tag wieder zurückfahren muss, fast nicht mehr lohne. „Das ist mein erstes Mal in Kopenhagen, kann man nichts Besseres finden?“, bohre ich erfolglos weiter.
Das Reisezentrum im Hauptbahnhof macht in zehn Minuten auf. Ich stelle mich in der Schlange der Kaffeetrinkenden an. Die schauen ungeduldig auf die MitarbeiterInnen drinnen, die in aller Ruhe Aufgaben erledigen, bevor sie die Masse reinlassen. „Alle, die nach Hamburg fahren, bitte Gleis 7!“, schreit eine (schon) schlecht gelaunte Mitarbeiterin. „Das ist in einer Stunde“, beschwert sich ein Mann. Ich bleibe da: Wo ich schon einmal einen Sitzplatz reserviert habe, möchte ich ihn nicht verlieren. Es klappt und sogar in Fahrrichtung, heute habe ich Glück.
Die Plätze sind aber doppelt reserviert worden, und spätestens ab Spandau herrscht Krieg. Viele zeigen sich solidarisch (etwa mit der fünfköpfigen Familie, die ständig umziehen muss), ich heute nicht. Wenn ich mein Wochenende im Zug verbringen muss, dann will ich mich um nichts kümmern. Und noch etwas gibt mir ein wenig Hoffnung: Der Ort, an dem ich mit der neuen Verbindung zum zweiten Mal umsteigen muss, heißt Fredericia. Ich habe keine Ahnung, wie oder wo das ist, aber der Name klingt für mich so schön, dass ich mir sage: „Wer weiß, was für Abenteuer ich der Deutschen Bahn zu verdanken haben werde.“
Luciana Ferrando
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