piwik no script img

berliner szenenDie wollen meine Ideen klauen

Ich erkenne sie erst nicht, die Frau mit den grauen Augen, die mich ansieht und dann den Kopf senkt, als wir uns in der Nähe des Boxhagener Platzes über den Weg laufen. Woher kenne ich diesen kalten Blick und die bittere Miene? Auf einmal weiß ich es wieder.

Als ich neu in Berlin war, fand ich einen Job: Schmuck verkaufen auf dem Markt. Die Frau mit den grauen Augen war meine Chefin, und wie ich später entdeckte, gab sie fast jede Woche eine Anzeige auf, um neue Verkäuferinnen zu finden. Sonntags musste ich sie um 7 Uhr abholen, wir packten gemeinsam das Auto und fuhren zum Flohmarkt.

Am ersten Tag war sie nett zu mir. Beim zweiten Mal reagierte sie irritiert, wenn ich einen Fehler machte oder etwas nachfragen musste. Ab dem dritten Mal war sie unerträglich, doch ich brauchte den Job und musste es aushalten.

Sie redete ununterbrochen und erzählte zum Beispiel, dass sie gern „ein afrikanisches Kind“ adoptieren würde, „weil die so süß sind“. Sie fand es besser, neun Stunden lang zu stehen, als „einen faulen Eindruck“ abzugeben. Sie regte sich auf, wenn jemand ihre Schmuckstücke fotografierte: „Die wollen meine Ideen klauen!“ Außerdem hatte sie Angst vor „türkischen Frauen“, wie sie sagte, weil die ihre Kunst nicht zu schätzen wüssten und etwas kaputt machen könnten.

Eines Tages sagte sie: „Du, ich möchte nicht, dass du so oft auf Toilette gehst.“ – „Wie bitte?“, fragte ich, und sie wiederholte es. „Basta!“, explodierte ich und brüllte sie so laut an, dass sie zurückwich. Aber ich konnte nicht mehr aufhören: Ich versprach, allen HändlerInnen zu erzählen, dass sie mir keine Pause gestattete, dass ich nicht einmal auf Toilette gehen durfte, sie mich schlecht behandelte und eine Rassistin sei. Sie schwieg und guckte mit ihren grauen Augen nur zu, wie ich fuchsteufelswild davonging. Luciana Ferrando

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen