berliner szenen: Gibt die Polizei mir die Leine?
Nach einem langen Tag möchte meine Tochter nicht mehr mit unseren Hunden spazieren gehen. Vor der Wohnungstür macht sie einen Sitzstreik und sagt bockig: „Die beiden sollen auf unsere Toilette.“ Ich sage: „Das geht nicht. Außerdem haben sie ein Recht auf ihren Spaziergang“, und setze sie in ihren Kinderwagen. Nach ein paar Metern will sie aussteigen und die Hunde anleinen. Ich sage: „Die beiden wollen nicht angeleint werden.“ Meine Tochter ruft: „Ich will aber und ich sage, was gut für sie ist.“ Ich erkläre: „Du kannst sagen, was gut für dich ist. Aber nicht was gut für die beiden ist.“ Sie funkelt mich böse an, schnappt sich die Leine und rennt los, um die beiden anzuleinen. Als ich ihr die Leine abnehme, beginnt sie zu schreien und um sich zu schlagen. Ich halte sie fest.
Ein altes Paar bleibt in einigen Metern Abstand stehen und beobachtet uns. Ich versuche, meine Tochter in den Kinderwagen zu hieven. Die aber schreit immer lauter, windet sich und tritt nach mir. Ich setze sie wieder ab. Sie wirft sich vor das Vorderrad des Kinderwagens. Ich versuche den Wagen an ihr vorbei zu manövrieren und streife sie dabei am Bein. Sie schreit: „Du tust mir weh!“ Das Paar kommt zu uns. Der Mann zückt sein Handy, entsperrt es und fragt meine Tochter: „Hat deine Mama dir schlimm weh getan?“ Meine Tochter ruft: „Ja!“
Ich sehe mich bereits mit einem Bein im Gefängnis und beuge mich zu meiner Tochter runter: „Bitte sag, dass du dich eben selbst vor den Kinderwagen geworfen hast. Der Mann denkt gerade schon, er müsse die Polizei rufen, weil ich dir etwas angetan habe.“ Er schätzt mich misstrauisch ab und nickt ernst. Meine Tochter mustert ihn kurz und fragt dann: „Gibt die Polizei mir die Leine? Ich will die Leine und meine Mama hat nein gesagt. Das soll sie nicht dürfen.“ Eva-Lena Lörzer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen